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Zenjanischer Lotus (German Edition)

Zenjanischer Lotus (German Edition)

Titel: Zenjanischer Lotus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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Gesichtsfeld geriet. Er schwebte dicht über den Baumspitzen – viel zu dicht für einen jagenden Vogel – und
hatte eine beeindruckende Flügelspannweite. Gegen das Licht konnte Sothorn die Farbe des Gefieders nicht erkennen, aber die Größe des Raubvogels verriet ihm, dass er es mit einem
Blauschwanzadler zu tun hatte.
    Die Blauschwänze waren Jäger von majestätischer Herrschaftlichkeit, die man zumeist im Osten des Landes antreffen konnte. Männliche Exemplare wurden so groß, dass sie
es mit ausgewachsenen Dachsen und Füchsen aufnehmen konnten. Weit wichtiger in Sothorns Situation war, dass Blauschwanzadler sehr intelligent waren und sich hervorragend für die Jagd
abrichten ließen.
    Er stieß einen unwilligen Laut aus, während er zu dem Adler hinauf spähte. Das Tier kreiste über ihm und ließ in regelmäßigen Abständen seinen Ruf
erklingen.
    Ein Wargssolja-Assassine griff ihn an, und am nächsten Tag folgte ihm ein Blauschwanzadler? Selbst wenn Sothorn während des Kampfes zwischen den Lagerhäusern nicht das Schlagen
der Flügel gehört hätte, hätte er den Zusammenhang hergestellt.
    Ein Anflug von Müdigkeit ergriff von ihm Besitz, als er den Rappen antrieb. Die Frage, ob er Tolka noch töten würde oder nicht, stellte seine gesamte, kurze Zukunft dar.
    Ziemlich dürftig. Sollte er warten? Es auf den letzten Kampf ankommen lassen, den fremden Assassinen vielleicht trotz schlechter Verfassung und Schnittwunde im Bein besiegen, nur um am
Abend von Stolans Schergen getötet zu werden?
    Es kam nicht mehr darauf an. Sein letzter Kampf brachte ihm nichts mehr ein. Und das zerstückelte Überbleibsel seiner Seele war erschöpft.
    Sothorns Hand schob sich in die Mähne des Rappen, tastete durch das borstige Haar, das seinen Fingern Widerstand bot. Er spürte dem Leben nach, dem Herzschlag, der Wärme eines
anderen Körpers. Mit dem schaukelnden Schritt des Pferdes wurde er von links nach rechts gewiegt, spürte jede Bewegung in seinem Rücken und seinem verletzten Bein.
    Überdeutlich nahm er die feine Textur der blaugrünen Nadeln an den Bäumen wahr. Die Geräusche im kargen Unterholz. Ein Rascheln auf einem nahen Ast. Träge hielt Sothorn
sein Gesicht in die blasse Sonne, als wolle er sich das Gefühl ihrer Strahlen auf seiner Haut für immer einprägen.
    Als seine Sicht verschwamm, dachte er, es hätte begonnen zu regnen. Aber es waren seine Augen, die ungefragt und zu seiner milden Überraschung nass wurden. Etwas in ihm wollte nicht
sterben. Vielleicht sein Körper, der nicht in Watte gehüllt war, der nicht permanent unter dem Einfluss des Lotus stand.
    Sothorn überkam das verrückte Gefühl, seinen eigenen Körper wie ein gestürztes Kind trösten zu müssen. Als müsse er sagen: „Weine nicht. Es hat
nicht sollen sein. Sei nicht traurig.“ Es duftete nach Tannennadeln, Schmelzwasser und dem würzigen Aroma eines aus dem Winterschlaf erwachenden Waldes. Wind trieb eine zarte Salznote in
Sothorns Nase.
    Es war eigenartig. Als er als Junge nach Balfere kam, hatte er das Meer gehasst. Später hatte er sich nie wohl in seiner Haut gefühlt, wenn das Brennen des Salzes auf seiner Haut
fehlte.
    Das Meer sandte ihm einen letzten Gruß.
    Am Fuße des Berges lichtete sich der Wald abrupt und ging in das dichte Gestrüpp von Insa-Büschen über. Im Winter ärgeren die schnell wachsenden Sträucher die
Reisenden mit ihren scharfen Dornen, im Frühling und Sommer bedeckten ihre gelben Blüten die Ebene und machten der Sonne an Leuchtkraft Konkurrenz.
    In der Ferne lag Nadis am Horizont. Sothorn ließ die Zügel fahren und betrachtete die Ansammlung winziger Hütten. Wieder dachte er an Danai. Warum nicht? Warum sollte er Tolka
nicht verschonen? Vielleicht würde er ihr dann in guter Erinnerung bleiben.
    Der Gedanke gefiel ihm.
    Über ihm schrie der Adler und kam ihm im Sturzflug so nahe, dass Sothorn instinktiv seine Augen schützte. Aber der Raubvogel griff nicht an. Nicht ohne einen direkten Befehl seines
Herren. Er wollte ihn nur nervös machen.
    Das machte die Wargssolja so gefährlich. Sie brachten keine besseren Krieger als andere Volksgruppen hervor, aber ihrer engen Verbundenheit zu Tieren haftete etwas Magisches an.
    Wer gegen einen Wargssolja kämpfte, war im Nachteil, denn er musste stets damit rechnen, dass sich von hinten Wolfsfänge in seine Stiefel gruben. Wölfe, Brandlöwen,
Bergziegen, Wiesel, sogar Echsen richteten die Nordländer ab.
    Vogelattacken waren besonders

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