Zenjanischer Lotus (German Edition)
winkte.
Statt davon abzubeißen, fragte Sothorn: „Sind wir sehr knapp mit Nahrung?“
In seinem Kopf summte es vom langen Ruhen. Szaprey hatte ihn ein weiteres Mal betäubt und mehrere Tage schlafen lassen.
Seitdem er am späten Nachmittag erwacht war, fühlte er sich besser, konnte frei atmen. Nur die Schwäche war geblieben und seine entzündeten Hände lagen nach wie vor in
Verbänden.
Er hatte seit seinem Erwachen über vieles nachgedacht. Über seine Zukunft als Assassine, die Frage, wie er zum Nachttopf kam, Geryim, wie viel von der Festung den Flammen getrotzt
hatte, die Toten, Geryim, die Zukunft der Bruderschaft, Lotus und schließlich wieder Geryim.
An die Frage, wie gut das Schiff mit Nahrungsmitteln bestückt war, hatte er keinen Gedanken verschwendet.
„Nein, nicht mehr. Die ersten zwei Tage nach dem Brand hatten wir leere Bäuche. Dann konnten wir in einem Fjord anlegen und in den Wäldern jagen. In Balfere haben wir einiges an
Nahrung an Bord genommen. Allerdings beschränkt sich unsere Kost auf Fisch, fässerweise Trauben und Haferschleim. Brot ist knapp. Fleisch erst recht“, erklärte Geryim.
„Also lass mich dir das Brot geben und sei friedlich.“
„Trauben wären mir lieber. Bevorzugt in Form von Wein“, beklagte Sothorn sich halb ernst.
Er mochte es, den Wargssolja aufzuziehen. Es erinnerte ihn an seine Entgiftung; eine Zeit, in der sie sich gar nicht gut verstanden hatten und er alles getan hatte, um Geryim zu provozieren.
Bei genauerer Betrachtung vermutlich, weil er sich schon damals daran geweidet hatte, wenn sein Wächter die Beherrschung verlor.
Wie erwartet rollte Geryim mit den Augen und stand abrupt auf. Vom Esstisch holte er einen Teller, auf dem sich hellgrüne Trauben tummelten.
Vielsagend hielt er sie Sothorn entgegen: „Es wird dir nicht leichter fallen, sie zu essen, weißt du? Oder willst du dich kopfüber daran bedienen wie ein Schwein, das aus dem
Trog frisst?“
Sothorn unterdrückte sein Lächeln: „Nein, du darfst sie mir geben.“
„Wie überaus freundlich von dir“, brummte Geryim ironisch, pflückte jedoch anstandslos einige Trauben von der Rebe und reichte sie Sothorn an.
Er nahm sie dankbar entgegen. Der süße Saft auf seinen Lippen und seiner Zunge brannte, hatte aber eine belebende Wirkung. Ihm war, als könne er allein ein Fass Trauben
vertilgen, bevor sein Appetit gestillt war.
In seiner Eile, den nächsten Happen zu erlangen, biss er Geryim unbeabsichtigt in den Finger, sah grinsend auf und spürte sein Lächeln erlöschen, als er den intensiven Blick
des Wargssolja auf sich lasten spürte.
Sothorn schluckte. Der Ernst in Geryims Augen war hypnotisierend, weckte in ihm das Gefühl, schäbig zu sein, weil er sich mit schlichten Dingen wie Essen herumschlug.
Er war versucht, die Situation mit einer amüsanten Bemerkung zu entspannen oder Geryim erneut aufzuziehen, aber ihm fiel nichts ein. Kein einziges Wort.
Er konnte spüren, dass etwas zwischen ihnen vorging. Schon seitdem er aufgewacht war. Er konnte es weder benennen noch fühlte er sich in der Lage, auch nur eine Stunde in die Zukunft
zu sehen.
Aber er merkte, dass sich etwas verändert hatte. Nicht zuletzt, weil Geryim näher bei ihm saß als er musste. Weil er sich mehr Zeit für ihn nahm, als nötig war.
Einmal mehr wurde Sothorn die Luft knapp, als er beobachtete, wie sein Gegenüber sacht die Unterlippe in den Mund sog, nur um sie gleich darauf feucht glänzend freizugeben.
Zum ersten Mal fiel ihm auf, dass die Tätowierung auf Geryims Wange jedes Zucken seiner Mimik untermalte. Sie kräuselte sich zur Nase hin, wenn er lächelte. Sie schien auf sein
Auge zuzuwandern, wenn er zornig war. Wenn er erbleichte, wurde sie schwarz und stach warnend aus seinem Gesicht heraus.
Eine Traube näherte sich Sothorns Mund, strich sanft darüber.
Ein Fingernagel brach die dünne Haut der Frucht, sodass sie ihren Saft freigab. Er rann Sothorn über die Lippen und versetzte seine Zunge in Bewegung, die unweigerlich nicht nur die
Traube, sondern auch Geryims Fingerspitzen berührte. Sacht dagegen stieß.
Sothorns Bewusstsein schrumpfte in sich zusammen. Dafür wurden seine Sinne geschärft. Er konnte Geryims Hand riechen. Der Duft des Brots haftete auf der Haut, darunter der Geruch von
Meerwasser, Eisen und Kräutersalbe.
Außerdem hörte er ihn. Die leicht beschleunigte Atmung, das Scheuern von Stoff auf Stoff, als er sich regte.
Sothorn erschien jeder dieser Eindrücke
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