Zentauren-Fahrt
Leunden wohl aufha l ten, schätze ich. Rauf dich nicht mit dem Kraken, der muß hier Wache halten, nachdem du nachgekommen bist.«
Der Oger nickte. Das Gebrüll der Leunden wurde immer lauter. Dor sprang in das Loch hinab.
Er fand sich in einem mannshohen Gang, der unter dem Kanal nach Süden führte. Das Licht, das durch die Öffnung eindrang, wurde schnell matter, doch Irene hatte klugerweise Sternblumen im Gang gepflanzt, deren winziges Glimmen den Weg markierte. Dor hielt inne, um seinen Mitternachtssonnenstein auszuwickeln; dessen Strahl war eine große Hilfe.
Während Dor weiterschritt, hörte er draußen die stolzen Leu n den nahen. Krach stieß ein erstauntes Grunzen aus. Dann hörte man, wie etwas gegen etwas anderes prallte. »Was ist los?« rief Dor besorgt.
»Der Oger hat gerade einen der niedlichen Leunden dem Kraken zum Fraß vorgeworfen«, antwortete der Kiesel am Tunneleingang. »Jetzt kämpft er gerade mit ihrem Anführer, Sir Leunden Steak. Das ist ein zäher Bursche!«
»Krach, komm nach!« rief Dor. »Strapazier dein Glück nicht!«
Die Stimme des Ogers klang gedämpft. »… ck!« war das einzige, was Dor verstehen konnte.
»Aua! Du benutzt aber Ausdrücke!« rief der Kiesel. »Dir sollte man das Maul mit Seifensteinlauge auswaschen!«
Kurz darauf kam Krach in den Tunnel gepoltert. Er mußte den Kopf einziehen, um nicht an der Decke anzustoßen. Über seiner haarigen Schulter hing ein Stück Krakentang. Offensichtlich hatte er die Leunden so lange abgewehrt, bis der Krake das Revier übe r nommen hatte. »Gehauen aufs Rudel – ein herrlicher Strudel!« erklärte er, und sein Mund verzerrte sich zu einem Lächeln, das einem qualmenden Blitzeinschlag in einen Baum glich. Wer glau b te, daß Oger keinen Sinn für Humor hatten, lag offenbar völlig falsch; Krach konnte ebenso herzlich lachen wie jeder andere, vorausgesetzt, der Witz war entsprechend simpel.
»Wie sahen die Leunden denn aus?« fragte Dor, von einer ger a dezu morbiden Neugier gepackt.
Krach hielt nachdenklich inne, dann gab er eine seiner seltenen nichtrhythmischen Äußerungen von sich: »Ho ho ho ho ho!« dröhnte er – und da begann der gebrechliche Gang um sie herum einzubrechen. Steine lösten sich aus der Decke, und durch die Wände sickerte Feuchtigkeit.
Dor und der Oger flohen. Jetzt war Dors Neugier merklich g e schwunden – er wollte nur noch lebend aus dem Tunnel gelangen. Immerhin befanden sie sich unter dem Meer, und die Wasserma s sen konnten sie zerquetschen, wenn der Gang vollends einstürzen sollte. Auch ein einzelnes Leck würde den Tunnel überfluten. Nicht einmal ein Oger konnte ein ganzes Meer aufhalten.
Sie stießen zu den anderen vor. Hinter ihnen war kein Krachen zu hören; der Tunnel war nicht eingestürzt. Noch nicht.
»Dieser Ort macht mich nervös«, sagte Irene.
»Es gibt nur einen Weg – vorwärts«, entgegnete Chet. »Und zwar schnell.«
Der Gang schien nicht aufhören zu wollen, doch immerhin füh r te er nach Süden. Es mußte den Piraten eine Menge Arbeit geko s tet haben, den Tunnel auszuheben, selbst mit der Hilfe seines Lufthakens. Welch eine Ironie, daß er danach an den Leunden gescheitert war! Sie eilten vorwärts in die Tiefe und wurden immer nervöser, je tiefer sie kamen. Zu allem Überfluß wurde der Boden des Gangs immer klammer und schließlich sogar schlammig. Ein dünnes Wasserrinnsal tropfte hinein – und schon bald war es deu t lich, daß das Wasser immer höher stieg.
Hatte das Lachen des Ogers etwa doch einen Riß in der Tunne l wand erzeugt? Dann waren sie geliefert. Dor wagte es nicht, diese Möglichkeit überhaupt auszusprechen.
»Die Flut!« sagte Chet. »Die Flut kommt – und überspült den Eingang. Der Gang füllt sich mit Wasser.«
»Ach so! Gut«, sagte Dor erleichtert.
Vier Augenpaare richteten sich auf ihn.
»Äh, ich hatte schon befürchtet, daß der Gang am Einstürzen wäre«, ergänzte Dor lahm. »Die Flut… na ja, das ist ja nicht ganz so schlimm.«
»In dem Sinne, daß ein langsamer Tod besser ist als ein schne l ler«, meinte der Zentaur.
Der dachte darüber nach. Aus seiner vagen Furcht wurde galo p pierendes Entsetzen. Wie konnten sie dieser Gefahr entgehen? »Wie lang ist der Tunnel noch?« fragte Dor.
»Ihr habt die Hälfte hinter euch gebracht«, erwiderte der Gang. »Aber ihr werdet noch eure liebe Müh und Not mit der Einstur z stelle haben.«
»Einsturzstelle!« quiekte Irene. In Augenblicken der Krise neigte sie zur
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