Zentaurengelichter
lang habe ich diesen Ausdruck gehört. Abgesehen von einer jungfräulichen Tante, bei der jeder Atemzug ein Drama war, hatte ich ihn noch nie in der Realität gesehen.
»Was ist passiert?« Aus Onkel Lester war kein Wort herauszubringen. Vielleicht fürchtete er, ich würde gehen, wenn ich zuviel wüßte.
Tate pumpte meine Hand mit seinen beiden. »Danke, daß Sie gekommen sind. Danke. Ich wußte nicht, was ich sonst tun sollte.«
»Was ist passiert?« fragte ich noch einmal, während er sich mit einer Hand an mich klammerte und mich wie ein halsstarriges Kind hinter sich herzog. Ich entdeckte eine blaßgesichtige Rose, die zusah, wie wir den Garten durchquerten und Dennys Wohnung ansteuerten.
Tate sagte es mir nicht. Er zeigte es mir.
Die Wohnung war eine Ruine. Die Lehrlinge räumten noch immer auf. Mehrere trugen Bandagen und hatten Prellungen. Ein kluger Geist hatte die Tür zur Straße mit Brettern vernagelt. Tate deutete auf etwas.
Die Leiche lag mitten im Raum auf dem Bauch, eine Hand zur Tür gestreckt.
»Was ist passiert?« fragte ich wieder.
Das dritte Mal gelang es.
»Gegen Mitternacht ist es passiert. Ich hatte den Jungs gesagt, sie sollten hier drinnen aufpassen, für alle Fälle, weil Sie mich mit dem, was Sie gesagt haben, nervös gemacht hatten. Fünf Mann sind durch die Tür zur Straße eingebrochen. Die Jungs waren schlau. Odie kam und hat alle geweckt. Die anderen haben sich versteckt und die Räuber nach unten gehen lassen. So haben wir ihnen aufgelauert, als sie zu fliehen versuchten.
Wir wollten sie nur festhalten. Aber sie sind in Panik geraten und haben den Kampf aufgenommen. Sie haben sich nicht gerade zurückgehalten. Und jetzt haben wir das da am Hals.«
Ich kniete nieder und sah dem Toten ins Gesicht. Er hatte schon angefangen, sich aufzublähen. Aber ich konnte noch die Schnitte und Kratzer erkennen, die er sich eingefangen hatte, als er in meinem Büro durch die Scheibe geflogen war.
»Haben sie irgendwas mitgenommen?«
»Ich habe nachgezählt«, sagte Onkel Lester. »Das Gold und das Silber sind noch da.«
»Sie waren nicht hinter Gold und Silber her.«
»Ha?« Alle Tates sind brillante Geister. Nur stellen sie ihr Licht unter den Scheffel. Vielleicht ein beruflicher Reflex.
»Sie haben Dennys Papiere gesucht. Seine Briefe an diese Frau. Ich habe das meiste davon versteckt, aber es könnte sein, daß ich etwas übersehen habe. Die Papiere sind vielleicht mehr wert als alles Metall, das sie hier rausschleppen könnten.«
Der alte Tate war sprachlos, also erzählte ich ihm von meinem kleinen Plausch mit Dennys Partnern. Er wollte mir nicht glauben. »Aber das ist …«
»Handel mit dem Feind, wenn man den Schleier wegreißt und ihm offen ins Gesicht sieht.«
»Ich kenne meinen Sohn, Mr. Garrett. Denny würde Karenta nicht verraten.«
»Habe ich etwas von Verrat gesagt?« Obwohl ich daran gedacht hatte. Hauptsächlich daran, was Leuten passiert ist, die dumm genug waren, sich dabei erwischen zu lassen, wie sie Handel mit den Venageti trieben. Ich habe keine moralischen Bedenken dagegen. Der Krieg ist ein Kampf zwischen zwei Banden von Edelleuten und Zauberern, die versuchen, Kontrolle über Minen zu bekommen, die ihren Besitzern aller Wahrscheinlichkeit nach die Weltherrschaft ermöglichen dürften. Ihre Motive sind nicht edler als die verfeindeter Straßenbanden hier in TunFaire.
Da ich Karentiner bin, würde ich es begrüßen, wenn die Bande, die mein Land regiert, gewinnt. Ich gehöre gern zu den Gewinnern. Wie jeder andere auch. Aber es kränkt mich nicht, wenn neben den Lords noch jemand Gewinn aus dem Streit zieht. Das erklärte ich Tate.
»Das Problem ist, daß die Verbindung noch besteht«, sagte ich. »Und einige ziemlich harte Burschen wollen, daß es dabei bleibt. Was bedeutet: Die wollen nicht, daß wir uns einmischen. Können Sie mir folgen?«
»Und sie wollen Dennys Papiere und Briefe, damit sie Kontakt zu der Frau aufnehmen können?«
»Sie kapieren schnell, Paps. Die lassen ihren Anspruch auf das Edelmetall für die Papiere fallen. Und Denny wird auf ewig in Briefen weiterleben, die er nie geschrieben hat.«
Darüber dachte er nach. Ein Teil von ihm wollte den dicken Batzen kassieren, solange er ihn kriegen konnte. Aber es gab noch einen anderen Teil, und der war schrecklich stur. Vielleicht, wenn er etwas ärmer gewesen wäre. Aber irgendwann hatte er einen Entschluß gefaßt und ihn in Beton gegossen. Veränderte Umstände konnten ihn nicht vom
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