Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
würdest du mich für ein Kind wie jedes andere halten …«
»Unfälle passieren nun einmal, Willow.« Ich hörte das Bett knarren, als meine Mutter sich daraufsetzte. »Niemand macht dir deswegen irgendwelche Vorwürfe.«
»Du schon. Du wünschst dir, du hättest mich nie bekommen. Ich habe gehört , wie du das gesagt hast.«
Was dann kam … na ja, es war, als brauste ein Tornado durch meinen Kopf. Ich dachte über diesen Prozess nach und wie er unser Leben ruiniert hatte. Ich dachte an meinen Vater, der unten war, aber vielleicht nur noch für wenige Minuten blieb. Ich dachte an die Zeit vor einem Jahr, als noch keine Narben auf meinen Armen gewesen waren. Damals hatte ich noch eine beste Freundin gehabt, ich war nicht fett gewesen, und ich hatte alles essen können, ohne dass es mir wie Blei im Magen lag. Ich dachte daran, was meine Mutter dir gerade geantwortet hatte und dass ich mich wohl verhört haben musste.
Charlotte
»Charlotte?«
Ich hatte mich in der Wäschekammer versteckt, damit mich über dem Rumpeln des Trockners niemand weinen hörte. Doch Sean stand hinter mir. Hastig wischte ich mir mit dem Ärmel die Augen trocken. »Tut mir leid«, sagte ich. »Die Mädchen?«
»Die schlafen beide tief und fest.« Er trat einen Schritt näher. »Stimmt etwas nicht?«
Was stimmte überhaupt noch?
Wenn man jemanden umbrachte und das vor der Polizei dann bestritt und wenn man vor einem hässlichen Baby stand und der Mutter vormachte, es sei niedlich … gab es da nicht einen Unterschied? Es gab Lügen, die wir erzählten, um uns selbst zu retten, und Lügen, die wir erzählten, um andere zu retten. Was zählte mehr? Die Unwahrheit oder das höhere Ziel?
»Nein, nein, alles in Ordnung«, antwortete ich. Da hatten wir es. Ich log schon wieder. Ich konnte Sean nicht erzählen, was du zu mir gesagt hattest. Ich hätte es nicht ertragen können, von ihm ein Das habe ich dir ja gleich gesagt zu hören. Aber mein Gott, war denn alles, was aus meinem Mund kam, eine Lüge? »Die letzten paar Tage waren einfach nur hart.« Ich schlang die Arme um die Brust. »Hast du … äh … Brauchst du etwas von mir?«
Er deutete oben auf den Trockner. »Ich wollte mir nur mein Bettzeug holen.«
Ich wusste, dass ich hätte üben sollen; aber ich verstand einfach nicht, wie ehemals verheiratete Paare freundlich miteinander umgehen konnten. Ja, es war im besten Interesse der Kinder. Ja, es erzeugte weniger Stress. Aber wie sollte ich vergessen, dass dieser spezielle »Freund« mich nackt gesehen hatte? Dass er meine Träume weitergetragen hatte, wenn ich zu müde dafür gewesen war? Man kann seine Geschichte übermalen, wie man will, man wird immer die ersten Pinselstriche sehen. »Sean? Ich bin froh, dass du hier warst«, sagte ich. Das war endlich mal ehrlich. »Das hat alles … leichter gemacht.«
»Nun«, sagte er schlicht, »sie ist schließlich auch meine Tochter.« Er trat einen Schritt auf mich zu, um sich das Bettzeug zu nehmen, und ich wich instinktiv zurück. »Gute Nacht«, sagte Sean.
»Gute Nacht.«
Er nahm Kissen und Decke und drehte sich dann noch einmal um. »Wenn ich Willow wäre und jemanden bräuchte, der für mich kämpft, wenn ich es nicht kann … dann würde ich dich nehmen.«
»Ich bin nicht sicher, ob Willow dir da zustimmen würde«, flüsterte ich und blinzelte die Tränen weg.
»Hey«, sagte er und nahm mich in die Arme. Sein Atem strich warm über meinen Scheitel. »Was hast du denn?«
Ich hob den Kopf, sodass ich ihn ansehen konnte. Ich wollte ihm alles erzählen – was du mir gesagt hattest, wie müde ich war, wie sehr ich schwankte –, doch stattdessen starrten wir einander nur an und sandten uns stumme Botschaften, die auszusprechen keiner von uns den Mut hatte. Und dann, ganz langsam, als wüssten wir beide, dass es ein Fehler war, küssten wir uns.
Ich konnte nicht sagen, wann ich Sean zum letzten Mal so geküsst hatte. Das war nicht wie der flüchtige, morgendliche Abschiedskuss über der Spüle; das war raue, sengende Leidenschaft, als könnte von uns nachher nur noch Asche übrig sein. Seine Bartstoppeln zerkratzten mir das Kinn, seine Zähne bissen in meine Lippen, sein Atem füllte meine Lunge, der Raum glitzerte am Rand meines Sichtfeldes. Ich riss mich keuchend von ihm los. »Was … was tun wir hier?«, fragte ich.
Sean vergrub das Gesicht an meinem Hals. »Wen kümmert das schon, solange wir nur weitermachen.«
Dann glitten seine Hände unter meine Bluse, und
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