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Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Titel: Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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halten.«
    »Nur zu zweit …«, wiederholte ich, und bevor ich mich beherrschen konnte, strich ich Charlotte übers Haar.
    Sie erstarrte. »Tut mir leid«, murmelte ich und zog die Hand sofort zurück.
    Du hast dich unter mir bewegt, ein winziges Erdbeben, und ich versuchte, eine Decke, ein Teppich, ein Kuscheltier zu sein. Charlotte und ich dämpften dein Zittern und deine Schmerzen. Charlotte schlang die Finger um meine, sodass unsere Hände wie ein schlagendes Herz zwischen uns lagen. »Mir nicht«, sagte sie.

Amelia
    Es war einmal vor langer Zeit ein Mädchen, das mit der Faust in den Spiegel schlagen wollte. Sie würde jedermann sagen, dass sie nur so auf die andere Seite käme; aber in Wahrheit wollte sie sich einfach nur nicht mehr sehen. Und wenn niemand hinsähe, wollte sie eine Scherbe stehlen, um sich das Herz aus der Brust zu schneiden.
    Als also niemand zusah, ging sie zum Spiegel und zwang sich, die Augen aufzumachen, nur noch ein letztes Mal. Aber zu ihrer großen Überraschung sah sie nicht ihr Spiegelbild. Sie sah überhaupt nichts. Verwirrt streckte sie die Hand aus, um den Spiegel zu berühren, und sie erkannte, dass das Glas fehlte, dass sie auf die andere Seite fallen konnte.
    Und genau das geschah.
    Alles wurde jedoch nur noch seltsamer, als sie durch diese andere Welt wanderte, denn die Menschen starrten sie an – nicht weil sie so widerlich war, sondern weil alle so aussehen wollten wie sie. In der Schule kämpften die Kinder darum, neben ihr sitzen zu dürfen. Sie gab immer die richtigen Antworten, und die Lehrer zogen sie vor. Ihr E-Mail-Postfach quoll über vor Liebesbriefen von Jungen, die ohne sie nicht mehr leben wollten.
    Zuerst fühlte es sich unglaublich an, so als würde jedes Mal, wenn sie in die Öffentlichkeit trat, eine Rakete unter ihrer Haut starten. Doch dann wurde sie das rasch leid. Sie wollte keine Autogramme geben, wenn sie sich an der Tankstelle ein Päckchen Kaugummi kaufte. Wenn sie eine pinkfarbene Bluse trug, trug auch der Rest der Schule spätestens zum Mittagessen Pink. Sie wurde es auch leid, ständig in der Öffentlichkeit zu lächeln.
    Sie erkannte, dass die Dinge auf dieser Seite des Spiegels gar nicht mal so anders waren. Auch hier interessierte sich eigentlich niemand für sie persönlich. Sie wurde nur kopiert und umschmeichelt, weil jeder glaubte, damit die klaffenden Löcher in seinem Leben stopfen zu können.
    Sie beschloss, auf die andere Seite zurückzukehren. Aber das musste sie tun, wenn niemand ihr zusah, sonst würden sie ihr folgen. Das Problem war nur, dass ihr immer jemand zusah. Sie hatte Albträume von Menschen, die ihr nachliefen und sich an den Scherben schnitten, wenn sie auch durch den Spiegel stiegen. Dann lagen sie dort in ihrem Blut und sahen plötzlich – so träumte sie –, wie unbeliebt und gewöhnlich das Mädchen auf der anderen Seite des Spiegels war.
    Als sie es nicht länger ertragen konnte, rannte sie los. Sie wusste, dass ihr Menschen folgten, aber sie konnte nicht aufhören, an sie zu denken. Sie würde durch das Loch im Spiegel fliegen, um jeden Preis. Doch als sie am Spiegel ankam, prallte sie mit dem Kopf gegen das Glas. Er war repariert worden. Er war ganz und dick und unmöglich zu zerbrechen. Sie drückte mit den flachen Händen dagegen. Wo willst du hin? , fragten alle. Können wir mitkommen? Sie antwortete nicht. Sie stand einfach nur da und schaute auf ihr altes Leben, in das sie nicht mehr gehörte.
    Ich war ganz vorsichtig, als ich mich auf dein Bett setzte. »Hey«, flüsterte ich, denn du warst noch immer ziemlich platt und hast vielleicht noch geschlafen.
    Langsam hast du die Augen aufgemacht. »Hey.«
    Du hast wirklich winzig ausgesehen, selbst mit der riesigen Schiene an deinem Bein. Mit dem neuen Nagel im Oberschenkel würde der nächste Bruch nicht mehr so schlimm werden. Ich hatte einmal im Fernsehen Chirurgen mit Bohrern, Sägen, Metallplatten und was weiß ich noch gesehen. Sie hatten wie Bauarbeiter ausgesehen, nicht wie Ärzte, und bei der Vorstellung, dass jemand in dir rumwerkelte wie auf einer Baustelle, drehte sich mir der Magen um.
    Ich wusste nicht, warum, aber dieser Knochenbruch hatte mir mehr Angst eingejagt als alle anderen davor. Wahrscheinlich lag das auch an den anderen Dingen, die irgendwie damit in Verbindung standen: der Brief mit dem Scheidungsantrag, Dads Anruf aus dem Krankenhaus, bei dem er mir sagte, ich müsse die Nacht allein zu Hause verbringen … Ich erzählte niemandem

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