Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
mehr Aufmerksamkeit brauchst …?«
Das war das Letzte , was ich brauchte. »Ich komme schon zurecht«, sagte ich und öffnete die Wagentür.
Die Autos der Reporter folgten dem Truck meines Dads, und ich konnte ein wenig aufatmen. Das dachte ich jedenfalls, bis ich jemanden meinen Namen rufen hörte. »Amelia«, sagte eine Frau, »wie denkst du über diese Klage?«
Hinter ihr stand ein Mann mit einer Fernsehkamera auf der Schulter. Ein paar Kinder, die ebenfalls gerade angekommen waren, schlangen ihre Arme um mich, als wären sie meine Freunde. »Hey!«, rief einer von ihnen. »Können Sie das im Fernsehen bringen?« Er zeigte ihnen den ausgestreckten Mittelfinger.
Hinter den Büschen zu meiner Linken erschien ein weiterer Reporter. »Hat deine Schwester dir gesagt, wie sie sich fühlt, seit ihre Mutter wegen ungewollter Geburt vor Gericht zieht?«
War das eine Familienentscheidung?
Wirst du als Zeugin aussagen?
Das hatte ich schon ganz vergessen: Mein Name stand auf irgendeiner dämlichen Liste – nur für den Fall. Meine Mutter und Marin hatten gesagt, dass ich vermutlich nie würde aussagen müssen, dass das nur eine Vorsichtsmaßnahme war; trotzdem gefiel es mir nicht, auf irgendeiner Liste zu stehen. Das gab mir das Gefühl, als hinge etwas von mir ab, und was, wenn ich dann versagte?
Warum bedrängten sie nicht Emma mit Fragen? Die ging auch auf diese Schule. Aber ich kannte die Antwort bereits: In ihren Augen – in den Augen aller – war Piper das Opfer. Ich war mit dieser Vampirfrau verwandt, die beschlossen hatte, ihre beste Freundin auszusaugen.
»Amelia?«
Hierher, Amelia …
Amelia!
»Lassen Sie mich in Ruhe!«, schrie ich. Ich drückte die Hände auf die Ohren und drängte mich in die Schule. Blind stürmte ich an den anderen Kindern vorbei, die vor ihren Spinden knieten, an Lehrern, die ihren Morgenkaffee balancierten, und Pärchen, die sich abknutschten, als würden sie sich die nächsten Jahre nicht sehen und nicht bloß fünfundvierzig Minuten. Ich lief durch die erste Tür, die ich fand – eine Lehrertoilette – und sperrte mich dort ein. Ich starrte auf den sauberen Toilettenrand.
Ich kannte das Wort für das, was ich tat. In Gesundheitskunde zeigten sie uns Filme darüber. Sie nannten es Ess störung . Aber das war falsch: Das war keine »Störung«, im Gegenteil; erst dadurch ergab alles einen Sinn.
So zum Beispiel mein Selbstekel. Wer ekelte sich nicht vor jemandem, der fraß wie Jabba the Hut, um dann alles wieder auszukotzen? Vor jemandem, der sich solche Mühe gab, alles Essen rauszuwürgen, und trotzdem so dick blieb? Und ich verstand, dass ich nicht annähernd so schlimm dran war wie das magersüchtige Mädchen in meiner Schule. Sie war nur noch Haut und Knochen, mit mir überhaupt nicht vergleichbar. Ich tat das nicht, weil ich mich für fett hielt, obwohl ich abgemagert war – ich war fett. Offensichtlich konnte ich noch nicht einmal richtig hungern.
Aber ich hatte geschworen, dass ich aufhören würde. Ich hatte geschworen, mit dem Kotzen aufzuhören, wenn meine Familie dafür zusammenblieb.
Du hast es versprochen , sagte ich mir selbst.
Vor weniger als zwölf Stunden.
Trotzdem steckte ich mir den Finger in den Hals, kotzte und wartete auf die Erleichterung, die dann immer folgte.
Nur diesmal kam sie nicht.
Piper
Ich habe von Charlotte gelernt, dass es sich beim Backen im Wesentlichen um Chemie dreht. Das Gehen des Teigs ist ein biologischer, chemischer oder mechanischer Prozess; er erzeugt Gase, die eine Auflockerung der Mischung bewirken. Der Schlüssel für erfolgreiches Backen ist die Wahl des geeigneten Treibmittels für die unterschiedlichen Teigsorten.
Das , hat Charlotte einmal zu mir gesagt, als ich ihr half, einen Geburtstagskuchen für Amelia zu backen, ist das Geheimnis des Backens. Und sie schrieb auf eine Serviette:
KC4H 5 O 6 + NaHCO 3 CO 2 + KNaC 4 H 4 O 6 + H 2 O .
Ich hatte nur ein B- in organischer Chemie , sagte ich zu ihr.
Weinstein plus Natriumhydrogenkarbonat ergibt Kohlendioxid, Kaliumnatriumtartrat und Wasser , erklärte sie.
Angeber , erwiderte ich.
Ich will damit nur sagen, dass es nicht einfach nur darum geht, Eier und Mehl miteinander zu verrühren , sagte Charlotte. Hey, du sollst hier etwas lernen.
Gib mir einfach das verdammte Vanillepulver , sagte ich. Bringt man so etwas den Leuten in der Kochschule wirklich bei?
Sie drücken Medizinstudenten doch auch nicht einfach nur ein Skalpell in die Hand, oder? Bevor du
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