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Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Titel: Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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abwartet, wie sich ein mehrere Wochen alter Fötus entwickelt, nicht wahr? Auch im Hinblick auf einen sicheren und legalen Schwangerschaftsabbruch.«
    »Einspruch«, sagte Guy Booker. »Wenn ich vor Gericht nicht gegen Abtreibung sprechen darf, darf sie sich auch nicht dafür äußern.«
    »Stattgegeben«, sagte der Richter.
    »Und wenn die Ärzte Ihrer Empfehlung folgten, erst einmal abzuwarten und Informationen über den Zustand des Fötus zurückzuhalten, würde es dann nicht schwerer, die Schwangerschaft noch abzubrechen? Medizinisch und auch emotional?«
    »Einspruch!«, rief Guy Booker erneut.
    Ich ging zur Richterbank. »Bitte, Euer Ehren, hier geht es nicht um Abtreibungsrecht. Hier geht es um die medizinische Fürsorge, auf die meine Klientin ein Anrecht gehabt hätte.«
    Der Richter schürzte die Lippen. »Also schön, Miss Gates. Aber kommen Sie so schnell wie möglich auf den Punkt.«
    Wyndham zuckte mit den Schultern. »Jeder Gynäkologe weiß, wie schwer es ist, Patienten, deren Föten Anomalien aufweisen, zu einem Schwangerschaftsabbruch zu raten, wenn das Baby der eigenen Meinung nach ohnehin nicht überleben würde. Aber das gehört zu unserem Beruf.«
    »Das mag sein«, sagte ich, »was aber noch nicht heißt, dass Piper Reece es auch getan hat.«
    Wir machten zwei Stunden Mittagspause, weil Richter Gellar zum Amt musste, um einen Motorradführerschein zu beantragen. Laut einem Gerichtsschreiber plante er, nächsten Sommer mit einer Harley durchs Land zu fahren. Ich fragte mich, ob er sich die Haare schwarz gefärbt hatte, weil er meinte, das passe besser zu schwarzem Leder.
    Charlotte fuhr, kaum dass die Pause begonnen hatte, ins Krankenhaus. Sean und Amelia hatte ich seit dem Morgen nicht mehr gesehen, und so ging ich auf die Laderampe der Hausmeisterei hinaus, durch eine Tür, von deren Existenz die Reporter offenbar nichts wussten.
    Es war einer jener Tage Ende September, wo man in New Hampshire schon die langen Finger des Winters spüren konnte, denn es wehte ein kalter, beißender Wind. Und doch schien sich eine große Menschenmenge auf den Stufen vor dem Haupteingang versammelt zu haben, soweit ich von meinem Standort aus sehen konnte. Ein Gerichtsdiener kam hinter mir durch die Tür und zündete sich eine Zigarette an. »Was ist denn da los?«, fragte ich.
    »Was für ein verdammter Zirkus«, sagte er. »Es geht um diesen Prozess wegen dem Kind mit den komischen Knochen.«
    »Ja, ich habe gehört, es soll ein Albtraum sein«, murmelte ich, schlang die Arme um die Brust, um mich warm zu halten, und schlich mich von der Seite an die Menschenmenge heran.
    Oben auf der Treppe stand ein Mann, den ich aus den Nachrichten kannte: Lou St. Pierre, der Präsident des Behindertenverbandes von New Hampshire, der außerdem in Yale Jura studiert hatte, Rhodes-Stipendiat gewesen war und im Brustschwimmen eine Goldmedaille bei den Paralympics gewonnen hatte. Nun fuhr er entweder in seinem maßgeschneiderten Rollstuhl oder flog Kinder eigenhändig mit dem Flugzeug zu medizinischen Behandlungen durchs ganze Land. Sein Hund saß ruhig neben ihm, während zwanzig Reporter St. Pierre die Mikrofone unter die Nase hielten. »Wissen Sie, was an diesem Prozess so faszinierend ist? Er ist wie ein Zugunglück. Man kann einfach nicht wegschauen, obwohl man lieber die Augen davor verschließen möchte, dass so eine Klage vor Gericht überhaupt zugelassen wird«, sagte er. »Kurz gesagt: Dieses Thema ergreift jeden. Es ist genau die Art von Prozess, die einem Schauder über den Rücken jagt, weil wir alle gerne glauben wollen, dass wir jedes Kind lieben würden, das in unsere Familie kommt – anstatt zuzugeben, dass wir in Wahrheit keineswegs so tolerant wären. Pränatale Tests reduzieren den Fötus auf genau eine Eigenschaft: seine Behinderung. Leider, leider geht die pränatale Medizin automatisch davon aus, dass die Eltern ein behindertes Kind nicht haben wollen und dass ein behindertes Leben nicht lebenswert ist. Ich kenne hingegen viele Eltern – zum Beispiel unter den Taubstummen –, die ein Kind, das genauso ist wie sie, mit Freuden lieben würden. Die Behinderung des einen ist die Kultur des anderen.«
    Wie aufs Stichwort bellte sein Behindertenhund.
    »Abtreibung ist ein heiß diskutiertes Thema: Ist es in Ordnung, ein potenzielles Leben zu vernichten? Und im individuellen Fall lautet die Frage sogar: Ist es in Ordnung, dieses potenzielle Leben zu vernichten?«
    »Mr. St. Pierre«, rief ein Reporter.

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