Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
einmal in einen Spreizgips kommt? Womöglich ist sie dann schon sieben, zehn oder elf, und wer soll sie dann noch hochheben?«
Sean seufzte. »Sie ist ein Kind, Charlotte. Sollte sie nicht wenigstens für kurze Zeit mal frei herumlaufen können, bevor du sie wieder wegbringst?«
» Ich bringe sie nirgendwohin«, erwiderte ich verletzt. »Tatsache ist, dass sie wieder stürzen wird. Sean, mach mich hier jetzt nicht zum Schurken, nur weil ich ihr langfristig helfen will.«
Ein Zögern am anderen Ende der Leitung. »Ich weiß, wie hart das ist«, sagte er. »Und ich weiß auch, wie viel du für sie tust.«
War das eine Anspielung auf unseren desaströsen Besuch in der Anwaltskanzlei? »Ich beschwere mich ja gar nicht …«
»Das habe ich auch nicht behauptet. Ich will damit nur sagen … Wir wussten, dass es nicht leicht werden würde, stimmt’s?«
Ja, das hatten wir gewusst; nur war mir nicht klar gewesen, wie hart es wirklich werden würde. »Ich muss jetzt Schluss machen«, sagte ich, und als Sean sagte, er liebe mich, tat ich so, als hätte ich das nicht gehört.
Ich legte auf und rief sofort Piper an. »Warum sind die Männer eigentlich immer so schwierig?«, fragte ich.
Im Hintergrund hörte ich Wasser laufen und Geschirr in der Spüle klirren. »Ist das eine rhetorische Frage?«
»Sean will nicht, dass Willow operiert wird und ein Stützgestänge bekommt.«
»Warte mal einen Moment. Bist du nicht in Boston zur Parathormontherapie?«
»Ja, und Dr. Rosenblad hat das Thema angesprochen«, sagte ich. »Seit einem Jahr versucht er nun schon, uns dazu zu überreden, doch Sean wischt das immer wieder beiseite, und Willow bricht sich einen Knochen nach dem anderen.«
»Obwohl es ihr mit einem Gestänge langfristig besser gehen würde?«
»Ja.«
»Nun«, meinte Piper, »dann sage ich nur eins: Lysistrata .«
Ich brach in lautes Lachen aus. »Seit einem Monat schlafe ich nun schon bei Willow auf der Wohnzimmercouch. Wenn ich Sean verkünde, ich würde keinen Sex mehr mit ihm haben, wäre das eine ziemlich leere Drohung.«
»Da hast du deine Antwort«, erwiderte Piper. »Besorg dir ein paar Kerzen, Austern und ein schönes Negligée … und wenn er vor Lust wie besoffen ist, frag ihn noch mal.« Ich hörte eine Stimme im Hintergrund. »Rob sagt, das funktioniert hervorragend.«
»Na dann, vielen Dank für den Tipp.«
»Hey, wo wir schon dabei sind … Sag Willow, dass der Daumen eines Menschen genauso lang ist wie seine Nase.«
»Wirklich?« Ich hob die Hand ans Gesicht, um das direkt zu überprüfen. »Das wird ihr gefallen.«
»Oh, Mist … ein Anruf … Warum können Babys nicht um neun Uhr morgens geboren werden?«
»Ist das eine rhetorische Frage?«
»Und da wären wir wieder. Bis morgen.«
Nachdem ich aufgelegt hatte, starrte ich den Hörer noch eine Weile an. Langfristig wird es ihr besser gehen , hatte Piper gesagt.
Glaubte sie das wirklich? Ohne Einschränkung? Nicht nur in Bezug auf das Gestänge, sondern auf alles, was eine gute Mutter tun würde?
Ich wusste noch nicht einmal, ob ich den Mut aufbringen würde, wegen »ungewollter Geburt« zu klagen. Schon die abstrakte Behauptung, es gebe einige Kinder, die besser nicht geboren worden wären, ging mir gegen den Strich, doch bei dieser Klage müsste ich noch einen Schritt weiter gehen. Ich müsste behaupten, dass ein ganz bestimmtes Kind – mein Kind – besser nicht geboren worden wäre. Was für eine Mutter könnte sich vor einen Richter und die Geschworenen stellen und verkünden, sie wünschte, ihr Kind würde nicht existieren?
Entweder eine Mutter, die ihre Tochter überhaupt nicht liebte … oder eine, die sie zu sehr liebte. Jene Art von Mutter, die alles behauptet, wenn sie ihrem Kind damit ein besseres Leben sichern kann.
Aber selbst wenn es mir gelingen sollte, dieses moralische Dilemma zu lösen, gab es da noch ein anderes Problem: Die Gegenpartei war mir nicht fremd – sie war meine beste Freundin.
Ich dachte an das Schaumstoffkissen, mit dem wir manchmal deinen Kindersitz im Auto und deine Wiege gepolstert haben, und wie manchmal dein Abdruck noch zu sehen war, nachdem wir dich herausgehoben hatten, und wie er dann auf magische Weise verschwand. Der nachdrückliche Einfluss, den ich auf Piper hatte, und der nachdrückliche Einfluss, den sie auf mich hatte … Nun, vielleicht war der doch nicht so nachdrücklich. Jahrelang hatte ich Piper geglaubt, wenn sie sagte, dass keiner der routinemäßig durchgeführten
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