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Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Titel: Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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gezeigt hatte, sondern weil er weggelaufen war, weil er laufen konnte .
    Deinetwegen war ich wütend auf ihn, denn du hättest in dieser Situation nicht entkommen können.
    Hustend beugte sich der Junge vornüber. »Mann! Verdammt!«, keuchte er.
    »Tut mir leid«, sagte ich. »Wirklich.«
    Er blickte mich an wie ein in die Enge getriebenes Tier. »Bringen wir es hinter uns. Verhaften Sie mich.«
    Ich wandte mich ab. »Hau einfach ab, bevor ich meine Meinung wieder ändere.«
    Es folgte ein kurzes Schweigen, dann hörte ich schnelle Schritte.
    Ich lehnte mich an die Wand und schloss die Augen. Zu dieser Zeit hatte ich das Gefühl, als sei mein Zorn ein Geysir, der in regelmäßigen Abständen zum Ausbruch kommt. Manchmal bekam ein fremder Junge ihn zu spüren. Manchmal war es mein eigenes Kind. Dann schrie ich Amelia wegen irgendeiner Kleinigkeit an, wie zum Beispiel, wenn sie ihre Müslischüssel auf dem Fernseher abstellte; dabei waren das häufig »Verbrechen«, die ich auch selbst beging. Und manchmal motzte ich auch mit Charlotte – weil sie einen Hackbraten gemacht hatte, obwohl ich lieber Hähnchenschenkel wollte; weil sie die Kinder nicht ruhig hielt, obwohl ich nach einer anstrengenden Nachtschicht schlafen wollte; weil sie nicht wusste, wo ich meine Schlüssel liegen gelassen hatte; weil sie mit der Idee gekommen war, es könnte jemand schuld sein.
    Jemanden zu verklagen war für mich nichts Neues. So hatte ich einmal Ford verklagt, nachdem ich in einer Limousine der Marke einen Bandscheibenvorfall gehabt hatte. Okay, vielleicht hatte das an dem Ford gelegen, vielleicht aber auch nicht; jedenfalls kam es zu einem Vergleich, und ich konnte von dem Geld einen Van kaufen, mit dem sich dein Rollstuhl und das ganze andere Zeug transportieren ließ – und ich bin sicher, dass die Ford Motor Company die zwanzigtausend Dollar, ohne mit der Wimper zu zucken, aus der Portokasse bezahlt hat. Aber das hier war etwas anderes. Das hier war eine Klage, die dich betraf – eine Klage gegen deine Existenz. Auch wenn mir durchaus klar war, was wir mit einer hohen Abfindung alles für dich tun könnten, wollte ich einfach nicht darüber hinwegsehen, dass wir dafür lügen müssten.
    Für Charlotte schien das jedoch kein Problem zu sein. Und das brachte mich zum Nachdenken: In welcher Sache log sie sonst noch? War sie glücklich? Wünschte sie sich vielleicht, noch einmal von vorne anfangen zu können? Ohne dich und mich? Liebte sie mich überhaupt?
    Was für ein Vater wäre ich, wenn ich mich einer Klage verweigerte, die dir so viel Geld einbrächte, dass du den Rest deines Lebens angenehm davon leben könntest, anstatt jeden einzelnen Cent dreimal umdrehen zu müssen? Aber andererseits: Was für ein Vater wäre ich, wenn ich für dieses Geld bereit wäre zu behaupten, ich hätte dich nicht gewollt?
    Erneut lehnte ich den Kopf an die Betonwand und schloss die Augen. Wärest du ohne OI geboren worden und stattdessen nach einem Autounfall querschnittsgelähmt, ich wäre sofort zur nächstbesten Anwaltskanzlei gerannt und hätte, ohne zu zögern, darauf gedrängt, die Schuldigen bezahlen zu lassen. War eine Klage wegen »ungewollter Geburt« wirklich so viel anders?
    Ja, das war sie. Wenn ich allein beim Rasieren vor dem Spiegel stand und diese Worte flüsterte, drehte sich mir schon der Magen um.
    Mein Handy klingelte und erinnerte mich daran, dass ich mich zu weit vom Streifenwagen entfernt hatte. »Hallo?«
    »Dad, ich bin’s«, sagte Amelia. »Mom hat mich nicht abgeholt.«
    Ich schaute auf meine Uhr. »Die Schule ist doch schon seit zwei Stunden aus.«
    »Ich weiß. Sie ist nicht zu Hause, und sie geht auch nicht an ihr Handy.«
    »Bin schon unterwegs«, sagte ich.
    Zehn Minuten später schwang sich eine mürrische Amelia zu mir in den Streifenwagen. »Na, toll! Ich liebe es, in einem Streifenwagen nach Hause gefahren zu werden. Ich höre die Gerüchteküche schon brodeln.«
    »Zum Glück, meine Drama Queen, weiß die ganze Stadt, dass dein Vater bei der Polizei arbeitet.«
    »Hast du mit Mom gesprochen?«
    Ich hatte es versucht, aber wie schon bei Amelia ging sie nicht ans Telefon. Der Grund dafür war mir sofort klar, als ich in unsere Einfahrt einbog und sah, wie sie dich mit äußerster Vorsicht vom Rücksitz holte. Du hattest nicht mehr nur einen Spreizgips, sondern auch eine Bandage, die deinen Arm an den Oberkörper band.
    Charlotte drehte sich um, als sie uns kommen hörte, und riss erschrocken die Augen auf.

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