Zerbrochen: Geliebte Kreatur der Nacht 2 (German Edition)
kennen lernen, auch deine andere, dunkle Seite. Sie ist doch ein Teil von dir, aber du lässt mich bei so vielem Außen vor, dass ich gar nicht die Chance dazu bekomme.«
Überrascht von dem, was sie da sagte, atmete ich tief ein und musste schlucken. Ich dachte immer, dass sie zufrieden war, aber anscheinend hatte ich mich geirrt.
»Es tut mir leid, Aimée«, flüsterte ich. »Ich will doch nur, dass du mich nie wieder so sehen musst, wie damals. Mit anzusehen, wie ich Menschen als Nahrungsquelle benutze, ihr Blut trinke und sie dabei sterben, muss doch grausam für dich sein!«
»Und ich bin das nicht für dich? Eine menschliche Nahrungsquelle?«
»Nein!« Ganz dicht trat ich vor sie und umfasste ihr Kinn mit meinen Fingern. »Um Himmels Willen, nein! Das warst du nie für mich.«
Schweigend sah sie mich eine Weile an, bevor sie antwortete: »Aber vorhin, da hast du mich so... so angesehen, Julien. Ich konnte es dir im Gesicht ablesen. Viel hat nicht mehr gefehlt, und du hättest die Kontrolle verloren.«
»Nein, Aimée, niemals!«, gab ich zurück. »Lieber verbrenne ich in der prallen Sonne, als dir etwas anzutun. Das musst du doch wissen?«
Sie blickte zu Boden und erwiderte nichts darauf.
Da traf mich die Erkenntnis wie ein Schlag! »Ich habe dir Angst gemacht«, flüsterte ich, um Fassung ringend.
Aimée nickte kaum merklich, presste die Lippen zusammen und blickte weiterhin auf den Boden, der um einiges interessanter zu sein schien, als ich. Eine Träne rann ihr aus dem Auge.
Innerlich völlig aufgewühlt, zog ich sie in meine Arme. »Es tut mir so leid, mon Cœr. Vergib mir, es wird nie wieder vorkommen!«, schwor ich und wischte ihre Tränen fort.
»Schon gut, Julien«, gab sie beschwichtigend zurück, entzog sich meiner Umarmung, wandte sich um und ging auf den Eingang der Galerie zu.
Ich folgte ihr, immer noch in Gedanken versunken über das, was sie mir eben gestanden hatte. In Zukunft musste ich noch vorsichtiger sein, nie wieder wollte ich sie dieser Gefahr aussetzen.
Flüchtig blickte ich auf das Plakat, welches neben dem Eingang hing und Werbung für die Ausstellung machte. Ich erstarrte zu Eis und ein fassungsloses Stöhnen entrang sich meiner Kehle, als ich den Namen dort las. Unter dem Namen war ein Gemälde abgedruckt, welches ich nur allzu gut kannte.
Aimée hielt Inne und wandte sich zu mir um. Sie bemerkte meine Bestürzung und kam sogleich auf mich zu. »Julien, was hast du denn?« Sie folgte meinem Blick und sah auf das Plakat.
Ich konnte mich immer noch nicht rühren. Wieder und wieder las ich seinen Namen:
Nicolas De Marais
Der Ausnahmekünstler aus New York
stellt seine besten Werke vor.
Aimées Gesicht nahm ebenfalls einen bestürzten Ausdruck an und sie zog scharf die Luft ein, als sie den Namen auf dem Plakat erkannte. »Ist das... «, stammelte sie, »... ist das …
dein
Nicolas?«
Ich nickte und schluckte merklich, am liebsten wollte ich davon laufen. All die Gefühle von damals stürmten wieder auf mich ein und drohten mich zu ersticken. Die Verzweiflung, die ich damals empfand und nur mithilfe von Aimée in den Griff bekommen hatte, wollte mich wieder übermannen und brachte den tiefen Schmerz zurück, der sich nun wie eine spitze Klinge in mein Herz bohrte.
Immer noch starrte ich auf das Plakat und betrachtete das Gemälde, das Nicolas vor über hundert Jahren von mir gemalt hatte. Ich konnte mich noch genau an die Nacht erinnern, in der es entstanden war. Es war meine erste Nacht als Untoter, in der ich mich ihm mit Haut und Haaren und meiner ganzen Seele verschrieben hatte. Ich wollte die aufsteigenden Tränen hinunter schlucken, doch sie rannen mir haltlos aus den Augen.
Er war hier. Nicolas hatte mich gefunden.
2
Allein sein Name und die Erinnerung an ihn genügten, um den tiefen Schmerz von damals wieder aufkeimen zu lassen.
Ich spürte Aimées Hand tröstend auf meinem Arm. Ihre Berührung war so zart wie eine Feder und sie sah mich mitfühlend an. »Julien...«, flüsterte sie, nahm ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und wischte mir sanft die blutigen Tränen fort. Schweigend stand sie ganz nah vor mir und tröstete mich auf ihre ganz eigene Weise.
Ich betrachtete ihr hübsches Gesicht. Nur bei ihr konnte ich sein, wer ich eigentlich war – nicht das blutrünstige Monster, sondern ein fühlendes Wesen, das auch zur Liebe fähig war.
Aimée hatte Recht mit dem, was sie mir eben vorgeworfen hatte. Ich ließ sie Außen vor, weil sie
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