Zerbrochen: Geliebte Kreatur der Nacht 2 (German Edition)
genau getroffen, dass ich glaubte, in einen Spiegel zu schauen.
Damals war ich ein neugeborener Vampir gewesen. Betrachtete man die anderen Bilder, die Nicolas vor meiner Wandlung von mir gemalt hatte, konnte man den feinen Unterschied in meinem Gesicht erkennen. Ich hatte darin noch den weichen, leicht melancholischen Blick meiner Menschlichkeit.
Doch ich fühlte mich in diesem Raum unwohl. Von jedem Gemälde an den Wänden sahen meine eigenen Augen tausendfach auf mich hinab. Es hatte etwas unheimliches, als blickte ich mir selbst in die Seele...
Auf einmal hörte ich Schritte und Nicolas Duft stieg mir in die Nase. Ein Geruch, den ich unter tausenden sofort wiedererkennen würde.
»Findest du das hier nicht etwas übertrieben?», meinte ich auf amerikanisch, der Sprache, die wir fast hundert Jahre lang miteinander gesprochen hatten. «Es wirkt wie ein Schrein.« Ich wandte mich um.
Da stand er und sah mich einfach nur lächelnd an. Er hatte sich kein bisschen verändert, war immer noch der elegante, gut aussehende, blonde Mann, in den ich mich vor einer Ewigkeit verliebt hatte. Ich lächelte zurück, denn wider erwarten freute ich mich, ihn zu sehen.
Er kam auf mich zu, »Nein, das ist nur angemessen. Es sind die besten Bilder, die ich je gemalt habe und du warst mein liebstes Modell«, antwortete er in perfektem amerikanisch, meines hatte mittlerweile einen französischen Akzent angenommen.
Nicolas stand jetzt so dicht vor mir, dass sein Atem mich streifte. Die alten Gefühle für ihn brachen schlagartig wieder hervor, ohne dass ich etwas dagegen unternehmen konnte. Hilflos stand ich da und wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte, war hin und her gerissen von dem Gefühl, ihm um den Hals zu fallen, oder davon zu laufen.
Wir sahen uns lange an und mein Widerstand schmolz vollends dahin.
»O Julien...«, begann Nicolas leise.
»Schhh...«, unterbrach ich ihn und bedeutete ihm, still zu sein. Dann lagen wir uns in den Armen. »Wie schön dich wieder zu sehen«, flüsterte ich ihm zu und ließ ihn eine ganze Weile nicht los.
Irgendwann nahm er mein Gesicht zwischen die Hände und betrachtete mich intensiv. Seine Lippen waren halb geöffnet und der Blick, mit dem er mich aus halb geschlossenen Lidern ansah, jagte mir kleine Schauer den Rücken hinab. Ohne dass ich es wollte, beugte ich mich vor und unsere Lippen berührten sich. Erst zaghaft, doch dann packte uns die alte Leidenschaft wieder. Ich drängte ihn gegen die Wand und wir küssten uns, hungrig und wild.
Ich sog seinen Geruch tief ein, berührte ihn, wollte dieses alte Gefühl vollkommener Liebe für ihn wieder in meinem Herzen spüren, doch es funktionierte nicht. Es blieb ein bitterer Beigeschmack und eine gewisse Fremdheit, zu viel Zeit war vergangen und zu tiefen Schmerz hatte er mir zugefügt. Abrupt ließ ich von ihm ab und trat ein paar Schritte zurück. Atemlos sahen wir uns an und keiner konnte ein Wort sagen.
Langsam beruhigte ich mich wieder und fuhr mir mit der Hand durch die Haare. »So habe ich mir unser Wiedersehen nicht vorgestellt. Eigentlich hatte ich immer vor, dir dann kräftig in die Eier zu treten.«
Nicolas musste laut lachen und ich konnte mir ein Grinsen auch nicht verkneifen. Er lehnte lässig an der Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. »Da bin ich aber froh, dass du das nicht getan hast.«
Ich wurde ernst. »Um ehrlich zu sein, hatte ich gehofft, dich nie wieder zu sehen.«
Er seufzte und fragte leise: »Kannst du mir denn nicht endlich verzeihen, Julien?«
»Glaube mir, ich habe es versucht.« Mehr wollte ich dazu nicht sagen.
Nicolas merkte, dass es mir schwerfiel darüber zu reden und erwiderte nichts darauf.
Betreten standen wir da und schwiegen. Nicolas übte immer noch dieselbe Faszination auf mich aus, wie damals, als ich ihn kennen lernte. Er brachte mein Blut in Wallung und das wiederum fachte meinen Hunger an. »Lass uns gemeinsam jagen gehen«, schlug ich unvermittelt vor.
»Bist du immer noch so unersättlich?«, fragte er grinsend und ich nickte.
»Aber ich habe es unter Kontrolle. Du warst ein guter Lehrmeister, das muss ich dir lassen.«
»Dann lass uns gehen, ich kann es kaum erwarten. Wie lange ist das her, dass wir gemeinsam... ?«
»Viel zu lange!« Ich lief auf ihn zu, nahm seine Hand und wir verließen schnell die Galerie. »Ich hoffe, du hast hier nicht noch irgendwelche Verpflichtungen?«, fragte ich, als wir in die kühle Nachtluft hinaus traten.
»Nein, heute nicht.
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