Zerfetzte Flaggen
vom Karibischen Meer trennt.
Der Wind hielt die Hitze fern und gestattete es den weniger schwer Verwundeten, sich an Deck aufzuhalten, was wesentlich zu ihrer Genesung beitrug. Die Schwerverwundeten waren auf das Flaggschiff transportiert worden, jedoch würde wohl mancher von ihnen das Land nie wiedersehen.
Von den Gefangenen war nur einer an Bord geblieben, der Franzose Contenay. Er machte regelmäßige Spaziergänge an Deck, ohne jede Bewachung, und schien sich auf einem Schiff des Königs ganz zu Hause zu fühlen.
Bolitho wußte noch immer wenig über seinen eigenen Kommandanten.
Die Freundlichkeit der Begrüßung an Bord war wieder Pears strenger und unnahbarer Haltung gewichen. Bolitho hatte den Eindruck, daß des Admirals Anwesenheit erheblich dazu beitrug.
Coutts war morgens an Deck erschienen. Jugendlich, entspannt und anscheinend interessiert an allem, war er vom Achterdeck über die Luvtreppe hinabgestiegen und hatte den mit bloßem Oberkörper arbeitenden Seeleuten, dem Zimmermann und dem Segelmacher zugesehen und schließlich dem Küfer, der wie üblich das Deck eines Kriegsschiffes in eine Art Ladenstraße verwandelte.
Er hatte mit den Offizieren und einigen der dienstälteren Leute gesprochen, den Master durch seine Kenntnis der Arktis beeindruckt und Midshipman Forbes durch ein paar wohlgezielte Fragen zu einem errötenden Stotterer gemacht.
Wenn Coutts beunruhigt war über die zweifelhafte Aussicht, ein weiteres Nachschubdepot des Feindes zu zerstören, oder über die Kommentare des Oberbefehlshabers zu seinem eigenmächtigen Handeln, so zeigte er das nicht im geringsten. Seine Pläne behielt er für sich, denn nur Ackerman, sein weltgewandter Flaggleutnant – es war der Offizier, den Bolitho damals bei dem Fest mit der halbnackten Frau in einer Kammer gesehen hatte –, und sein Privatsekretär besaßen sein Vertrauen.
Bolitho war klar, daß dies Pears über alle Maßen kränken mußte.
Er hörte Schritte an Deck; Cairns trat zu ihm an die Reling. Mit einem Blick umfaßte sein geschultes Auge die arbeitenden Gruppen an Deck und den Stand jedes einzelnen Segels.
Zu Bolitho sagte er: »Der Admiral ist bei unserem Captain, es gibt wohl dicke Luft.« Er wandte sich um und blickte bedeutungsvoll zum Kajütsoberlicht. »Ich war froh, die hohen Herren alleinlassen zu können.«
»Noch keine Neuigkeiten?«
»Nicht viele. Wie d’Esterre beim Pokern spielt der Admiral eine harte Hand. Er wird aufsteigen wie ein Komet, oder –«, er zeigte mit dem Daumen nach unten, »– fallen wie eine Sternschnuppe.«
Seit Coutts an Bord war, tauschte Cairns häufiger seine Gedanken mit dem Zweiten Offizier aus.
Langsam fügte er jetzt hinzu: »Unser Kommandant wollte wissen, warum die Trojan und nicht das Flaggschiff für diese Aufgabe ausgewählt wurde.« Er lächelte grimmig. »Der Admiral erklärte ihm eiskalt und seelenruhig, daß die Trojan das schnellere Schiff sei, und daß die Besatzung für ihre Tapferkeit eine Belohnung verdient hätte.«
Bolitho nickte. »Das glaube ich. Die Resolute ist schon viel länger hier draußen und hatte kaum eine vernünftige Überholung. Sie muß bewachsen sein wie eine Wiese.«
Cairns musterte ihn bewundernd. »Wir werden doch noch einen Politiker aus Ihnen machen.« Bolithos Verwirrung mit einer Handbewegung beiseite fegend, fuhr er fort: »Sie begreifen das doppelsinnige Kompliment? Coutts schmiert Pears Honig um den Bart mit Worten wie „Belohnung“ und „besseres Schiff“, um ihm im nächsten Augenblick beizubringen, daß sein eigenes Flaggschiff es eher verdient hätte.«
Bolitho schürzte die Lippen. »Das ist clever.«
»Schelme muß man erkennen, Dick.«
»Aber was ist dann der wahre Grund?«
Cairns runzelte die Stirn. »Ich vermute, er möchte das Flaggschiff auf der zuständigen Station haben. Aus demselben Grund hat er wohl auch die Vanquisher zurückgeschickt, weil er weiß, daß sie dringend im Geleitdienst benötigt wird, jetzt, da die Zahl der Kaperschiffe ständig zunimmt. Das alles wäre sinnvoll.«
Cairns senkte die Stimme, als Sambell, Steuermannsmaat der Wache, betont gleichgültig vorbeischlenderte.
»Er wird diesen Plan auch ausführen, die Belohnung einstecken oder die Fehler so gut wie möglich vertuschen. Unserem Kommandanten möchte er den Angriff nicht allein überlassen, traut es ihm wohl auch nicht zu. Außerdem braucht er einen Sündenbock für den Fall, daß alles schiefgeht, womöglich in einer Katastrophe endet; und das
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