Zerfleischt - Der ultimative Thriller
sie lächelte, schreckliche Dinge dachte und schlimme Sachen machte – und sie selbst war nur ein Zuschauer.
Während Shore tobte, hatte sie auf seinen Bauch gestarrt. Er sah so voll und rund unter seinem gestärkten, weißen Hemd aus. Was würde es für eine Sauerei geben, wenn ihn irgendjemand mit einem Messer aufschlitzte.
Dann verschwand es … was auch immer von ihr Besitz ergriffen hatte … einfach.
Macy fing an zu weinen.
Keine Schluchz-Schluchz-Krokodilstränen, sondern echte. Was auch immer dieser schreckliche Zwang gewesen war, sobald er sie freiließ, fühlte es sich an, als wäre sie innerlich aufgerissen und bis auf die Knochen aufgeschnitten worden. Sogar Shore war gerührt, als er es sah. Macy … die süße, zarte, liebenswürdige … war zurück und das sah er vielleicht.
Das fremde Wesen war verschwunden. Shore hatte versucht sie zu trösten, hatte es verzweifelt versucht. Macy befand sich in so einer weinerlichen Verzweiflung, dass es ihm sogar in den Sinn gekommen war, ihr zu sagen, dass ihre Tat okay war, dass es nichts sei, worüber sie sich aufregen müsse. Dann war die Schulsekretärin Mrs. Bleer hereingekommen und tat etwas, wozu viele Männer offenbar zu inkompetent und unfähig sind: Sie beruhigte Macy. Sie brachte sie zum Schweigen, umarmte sie, ließ sie wissen, dass, obwohl es sehr schlimm war, eine andere Schülerin anzugreifen, sie eine Lösung finden würden.
Wäre es jemand anderes als Macy Merchant gewesen, wäre sie nicht so wohlwollend und verständnisvoll behandelt worden. Aber Mrs. Bleer kannte Macy genauso gut wie Mr. Shore und sie wussten, dass Macy ein gutes Kind war. Klug, ausgeglichen, pflichtbewusst … sie war keine Wilde, die andere Mädchen angriff.
Beide stellten ihr immer wieder die gleiche Frage: Warum? Warum war sie so auf Chelsea losgegangen? Was hatte Chelsea gesagt? Was hatte sie getan? Beide kannten Chelsea und sie kannten die Sorte von Mädchen, zu denen sie gehörte. Sie waren überzeugt, dass Chelsea dieses Mal etwas wirklich, wirklich Schreckliches getan haben musste, um ausgerechnet bei Macy Merchant eine derartige Reaktion auszulösen.
Ja, sie wollten wissen, warum.
Als Macy jetzt die Colidge Street hinunterlief, in Richtung der 7. Avenue und Rush Street, wollte auch sie wissen, warum.
Sie sah Kathleen Soames auf ihrer Veranda stehen. Kathleen winkte ihr zu.
Macy ging weiter, nahm nur die Gedanken wahr, die ihren Kopf ausfüllten, und das war genug. Sie presste ihre Bücher an die Brust, hielt den Kopf gesenkt und starrte auf den Gehsteig. Die Ritzen darin. Die Ameisennester, die darin alle paar Meter aufblühten.
Am meisten Angst machte ihr die Tatsache, dass sie keinerlei Kontrolle gefühlt hatte – als ob jemand oder etwas anderes sie einfach übernommen hätte. Sie fragte sich, ob sich verrückte Leute so fühlten, wenn sie mit einem Gewehr in einen Supermarkt stürmten oder wenn sie jemanden mit einer Axt verfolgten. Als wären nicht wirklich sie daran schuld, sondern jemand oder etwas anderes, irgendein schrecklicher Trieb, der sie komplett unter Kontrolle gehabt hatte und dem sie machtlos ausgeliefert waren.
War das so?
Zählte sie nun zu solchen Leuten?
Gott, es war niemals irgendetwas Ähnliches passiert, kein Anzeichen, dass sie verrückt war. Klar, sie dachte manchmal etwas Böses, so wie jeder andere auch, aber sie hatte noch niemals zuvor in ihrem Leben einer Fliege etwas zuleide getan. Trotz der Angst und Traurigkeit fühlte sie sich nicht wesentlich anders als vor zwei Wochen oder vor zwei Jahren. Und das war das Gruselige. Würde es wieder passieren? Würde sie aus heiterem Himmel wieder jemanden angreifen? Und hätte wieder keine Kontrolle, wenn es passierte?
Was für ein Schlamassel, was für ein schrecklicher Schlamassel.
Vielleicht litt sie an einem chemischen Ungleichgewicht wie bei Schizophrenie oder an einer von diesen Krankheiten, die sie letztes Jahr in Persönlichkeitspsychologie durchgenommen hatten. Multiple Persönlichkeiten. Gute Macy und böse Macy. Wenn das der Fall war, dann würde es Medikamente und Therapien geben. Ihr Leben würde trotzdem nie mehr das gleiche sein. In der Schule würde sie von manchen als Psycho abgestempelt werden und als Held von allen anderen, die Chelsea Paris schon immer in ihre Schranken hatten weisen wollen, aber sich niemals getraut hatten. Wow, was für ein Ruhm. Auf einen solchen Ruhm konnte sie verzichten.
Mom würde über das alles gar nicht glücklich sein.
Macys Dad
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