Zero Day
einem bemerkenswerten Fall, und nein, ich darf dir nichts darüber sagen.«
»Na, jedenfalls viel Glück. Ich baue auf dich.«
Sie sprachen noch dreißig Sekunden lang über harmlose Themen und verabschiedeten sich voneinander. Nachdem Puller aufgelegt hatte, betrachtete er das Telefon und malte sich aus, wie man seinen Bruder zurück in die Zelle geleitete. Dort hatte er nichts zu tun, als auf den morgigen Tag zu warten, an dem er wieder für eine Stunde das Loch verlassen durfte. Und auf einen neuen Anruf seines Bruders. Oder den nächsten Besuch. Alles war ihm aus der Hand gewunden. Es gab nicht einen Bereich seines Lebens mehr, auf den er noch echten Einfluss gehabt hätte.
Ich bin alles, was er noch hat. Ich bin alles, was der alte Herr noch hat. Gott steh mir bei. Und ihnen auch.
58
Am frühen Morgen des nächsten Tages hob die Düsenmaschine vom Flughafen Dulles ab und schwang sich in ruhigem Steigflug in den Himmel. Puller trank eine Flasche Wasser und verbrachte den Großteil des kurzen Flugs damit, aus dem Fenster zu schauen. Er sah auf die Uhr. Fast sechs. In der vergangenen Nacht hatte er Schlaf zu finden versucht, doch trotz all des Armeetrainings hatten seine Gedanken so schnell gekreist wie eine Flugzeugturbine.
Keine Stunde später landete die Maschine in Charleston, wo er den Malibu vom Parkplatz holte. Drake erreichte er zur Frühstückszeit. Unterwegs hatte er Cole angerufen; er traf sich wieder in der Krippe mit ihr .
Puller trank zwei weitere Becher Kaffee und ließ sich das größte Frühstück servieren, das die Krippe zu bieten hatte. Fassungslos schaute Cole zu, wie ein Berg Essen in ihm verschwand.
»Gibt es in der Großstadt nichts zu futtern?«, fragte sie.
Puller verschlang Rührei und Pfannkuchen. »Nein, diesmal gab es nichts. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal was gegessen habe. Vielleicht gestern Morgen.«
Cole trank Kaffee aus der Tasse, brach eine Ecke Toast ab und verzehrte sie. »Und hat die Reise etwas gebracht?«
»O ja. Wir haben allerhand zu besprechen. Aber lieber nicht hier.«
»Etwas Wichtiges?«
»Andernfalls würde ich nicht Ihre Zeit vergeuden. Und was war bei Ihnen?«
»Ich habe den Gerichtsbeschluss gefaxt.« Cole zog mehrere Blätter Papier aus einem Umschlag. »Und ich habe die Analyseergebnisse der Bodenproben.«
Puller legte die Gabel ab und sah die Blätter an. »Und?«
»Ich bin keine Wissenschaftlerin.«
»Lassen Sie mal sehen.«
Sie schob ihm den Laborbericht hinüber. »Die ersten zwei Seiten enthalten nur juristisches Kauderwelsch«, sagte sie, als er ihn zur Hand nahm, »mit dem die Firma sich absichert, sollte die Untersuchung sich als falsch erweisen oder ein Test inkorrekt durchgeführt worden sein, und dass sie keinerlei Haftung übernehmen, falls die Ergebnisse vor Gericht verwendet werden.«
»Wie tröstlich«, meinte Puller halblaut, schlug die dritte Seite auf und las den Text. »Ich bin auch kein Wissenschaftler«, bekannte er eine Minute später, »aber während ich mit Bezeichnungen wie Apatit, Rutil, Marcasit, Galenit, Sphalerit und anderem Zeug, von dem ich noch nie gehört habe, nichts anfangen kann, sehe ich da auch Uran erwähnt, und was das ist, weiß ich mit Bestimmtheit.«
»Ziehen Sie keine voreiligen Schlüsse. In dreiundfünfzig der fünfundfünfzig Countys West Virginias gibt es Kohle, und wo Kohle liegt, findet sich auch Uran. Allerdings ist der Grad der Radioaktivität gering. In solchen Gegenden atmen die Menschen ständig Uranpartikel ein, ohne dass es ihnen schadet. Und die Millionstel Anteile Uran, die in dem Bericht angeführt stehen, beweisen uns, dass es um natürliche Radioaktivität geht.«
»Sind Sie sicher? Sie sagten doch, Sie sind keine Wissenschaftlerin.«
»So sicher, wie ich weiß, dass Kohle kein Mineral ist, sondern Stein. Weil sie aus organischen Ablagerungen besteht, gilt sie von wissenschaftlicher Warte aus nicht als Mineral. In Wahrheit setzt sie sich aus verschiedenen Mineralien zusammen.«
»Und damit kennt jeder in West Virginia sich aus?«
»Nicht unbedingt jeder, aber so mancher. Was wollen Sie von einem Bundesstaat erwarten, in dem ein Klumpen Steinkohle offiziell als Mineral ausgegeben wird?«
Puller blätterte in dem Bericht. »Wissen wir inzwischen, woher die Bodenproben stammen?«
»Das ist das Ärgerliche daran: Nein. Sie können sonstwo genommen worden sein. Der Bericht macht dazu keine Angaben. Wahrscheinlich hat man gedacht, Reynolds weiß doch, wo er sie
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