Zero Day
ich dir überhaupt nichts sagen.« Er schwieg kurz. »Ich könnte wegen Hochverrats verknackt werden. Aber da ich schon wegen Hochverrats verurteilt worden bin … was soll’s.« Robert schwieg nochmals ein paar Sekunden lang. »Ich habe früher mal etwas über atomare Verarbeitungs- und Anreicherungsanlagen in ländlichen Gebieten der USA gehört«, sagte er dann. »Es gab sie wohl in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als nur eins zählte, nämlich die Sowjetunion auszustechen. Diese Produktionsstätten hatten die Aufgabe, Uran für die Verwendung in Nuklearwaffen anzureichern und Plutonium zu verarbeiten. Inzwischen sind die meisten längst geschlossen, wahrscheinlich sogar alle.«
»Warum?«
»Die angewandten Techniken waren unzuverlässig oder zu kostspielig. Da entwickelte sich eine völlig neue Wissenschaft. Man tastete sich durch Versuche und Fehlschläge voran. Am häufigsten gewann man Erkenntnisse durch Fehlschläge.«
»Also gut, man schloss die Fabriken. Dann hat man den ganzen Krempel doch wohl mitgenommen, oder?« Pullers Bruder antwortete nicht. »Bobby? Habe ich recht?«
»Wenn jemand ›den ganzen Krempel‹ mitnimmt, würde er dann am Standort eine einen Meter dicke Betonkuppel bauen?«
»Und kein Mensch hat sich darüber beschwert? Keine Einheimischen? Bei der Regierung ist niemand dagegen angegangen?«
»Du musst die damalige Zeit berücksichtigen, John. Die Sechziger. Mit der großen, bösen Sowjetunion. Es gab noch keine mediale Berichterstattung rund um die Uhr. Die Menschen vertrauten treuherzig ihrer Regierung. Daran hat sich erst durch den Vietnamkrieg und den Watergate-Skandal etwas geändert. Und da seither nichts vorgefallen ist, gehen die Ortsansässigen wohl davon aus, dass alles seine Ordnung hat.« Robert schwieg abermals. »Steht der Bau frei da? Ist er offen zu sehen?«
»Er steht kein bisschen im Offenen. Der Wald hat ihn schon weitgehend überwuchert.«
»Was wird nach deiner Ansicht da getrieben?«
»Wohl genau das, wovon auch du wahrscheinlich denkst, dass es da getrieben wird.«
»Dann musst du es schnell nach oben melden.«
»Das würde ich ja tun, nur steht dem etwas dagegen.«
»Und was?«
»Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich denen trauen kann.«
»Gibt es jemanden, dem du trauen kannst?«
»Ja. Aber ich muss dich um noch eine Gefälligkeit bitten.«
»Ich soll dir helfen? Ich sitze im Gefängnis, John.«
»Das ist unerheblich. Du kannst mir von dort aus behilflich sein. Ich habe die CID hinter mir. Sie wird dir selbst im Gefängnis eine gewisse Flexibilität ermöglichen. Auf jeden Fall brauche ich dich, Bobby.«
Diesmal antwortete Pullers Bruder augenblicklich. »Sag mir einfach, was ich tun soll.«
84
Puller fuhr zu Coles Haus und wartete. Zwei Stunden später erreichte ihn dort ein Anruf. Danach kam der Anruf, dem sein Warten eigentlich galt. Wenn das Militär etwas erledigt haben wollte, konnte es mit erstaunlicher Schnelligkeit handeln. Zudem schadete es nicht, wenn sich der Verteidigungsminister persönlich dafür einsetzte. Cole saß Puller im Wohnzimmer gegenüber und beobachtete ihn sorgenvoll.
Puller ging ans Telefon und meldete sich. Der Anrufer, ein pensionierter Oberst namens David Larrimore, war fast neunzig Jahre alt und lebte in Sarasota, Florida. Der Mann verkörperte Pullers letzte Hoffnung, denn er war in den Sechzigern in Drake bei der Atomfabrik als Militärtechniker und als Aufseher in der Produktion tätig gewesen. Nach den Akten des Verteidigungsministeriums war er die einzige noch lebende Person, die dort gearbeitet hatte.
Larrimores Stimme klang matt, aber fest. Als Puller das Gespräch begann, erweckte der Mann den Eindruck, durchaus im Vollbesitz seiner Geisteskräfte zu sein. Puller hoffte, dass er auch ein tadelloses Gedächtnis hatte. Er benötigte jedes Quäntchen an Information, das er erhalten konnte.
»Ich vermute, wenn man einmal die Uniform getragen hat«, meinte Larrimore, »darf man niemals richtig in Pension gehen.«
»Vermutlich nicht.«
»Sind Sie zufällig mit Durchbruch-Puller verwandt?«
»Er ist mein Vater.«
»Leider hatte ich nie die Ehre, unter ihm zu dienen, aber er hat die Armee und die Heimat stolz gemacht, Agent Puller.«
»Danke, ich werde es ihm ausrichten.«
»Ein Zwei-Sterne-General hat mich angerufen. Ich bin seit fast dreißig Jahren außer Dienst, aber in dem Moment ging mir wieder der Arsch auf Grundeis. Er hat gesagt, ich soll Ihnen alles erzählen. Den Grund hat er
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