Zero Day
Deshalb hatte er für seinen Plan die Zustimmung des LSA eingeholt, der sie wiederum mehrfach von übergeordneten Dienststellen der Hierarchie, bis hinauf zum Ein-Stern-Kommandeur, hatte absegnen lassen. Wie der Kommandeur sich Rückhalt besorgte, wusste Puller nicht, und es ließ ihn auch kalt.
Auf der Rückfahrt nach Drake rief Puller die KTU in Fort Gillem bei Atlanta an und sprach mit einer Abteilungsleiterin, von der ihm bekannt war, dass sie sich zu späterer Stunde noch mit dringenden Fällen befasste. Es handelte sich um die zivile Analytikerin Kristen Craig. Sie und Puller hatten schon bei vielen Fällen zusammengearbeitet, waren sich jedoch nur wenige Male persönlich begegnet. Kurz und knapp bereitete Puller sie auf das in Zustellung befindliche Material vor.
»Kristen, ich weiß, dass Sie und Ihre Kollegen sich mit allem möglichen Geheimkram beschäftigen dürfen. Aber Sie müssen damit rechnen, dass der Militärische Geheimdienst sich für diese Sachen interessiert. Deshalb sollten Sie sie im sichersten Tresor aufbewahren. Ich habe alles entsprechend gekennzeichnet.«
»Verstanden, Puller. Danke für die Vorwarnung.«
Das KTU -Institut bestand aus zahlreichen Abteilungen, die jeweils unterschiedliche Beweismittel untersuchten: Fingerabdrücke, Feuerwaffen und Herstellermarken, Drogen und Medikamente, DNA , Gifte, Farben, Kraftfahrzeuge, Computer und digitale Daten und vieles mehr. Die Liste ließ sich schier endlos fortsetzen.
»Im Übrigen, Kristen, sind die Tatorte von außerordentlich komplizierter Beschaffenheit. Ich schicke eine Auswahl der verschiedensten Beweisstücke für die Mehrzahl aller Abteilungen. Also seien Sie so gut und stellen Sie sich darauf ein. Ich habe versucht, mich auf den Begleitdokumenten so genau wie nur möglich auszudrücken, aber voraussichtlich werde ich manches noch per E-Mail oder am Telefon präzisieren müssen. Und ich glaube, die Army beobachtet diese Angelegenheit mit Adleraugen.«
»Es überrascht mich, dass sie von uns keine technische Unterstützung angefordert hat. Wie viele Agenten haben Sie vor Ort?«
»Hier bin nur ich.«
»Ist das ein Witz?«
»Nein, Kristen.«
Puller hörte, dass sie plötzlich nach Luft schnappte. »Mensch, Puller …«
»Ja?«
»Was Sie da sagen, ergibt im Zusammenhang mit dem, was wir heute hier erlebt haben, einen gewissen Sinn.«
»Was ist denn passiert?«
»Wir haben einen Anruf aus dem Führungsstab des Armee-Oberkommandos erhalten.«
Fest klammerte Puller eine Hand ums Lenkrad, während die andere das Handy ans Ohr drückte. »Dem FAO?«
»Ganz genau. So etwas geschieht nicht alle Tage.«
»Ich weiß. Was wollte man von Ihnen?«
»Über alles fortlaufend informiert werden. Und dann kam ein weiterer Anruf.«
»Anscheinend sind Sie sehr gefragt. Von wem?«
»Vom FBI . Aus dem Büro des Direktors. Gleiches Anliegen. Wünschen ständig informiert zu werden. Ich dachte mir, darüber sollten Sie Bescheid wissen.«
Puller überlegte. Der Leitende Spezialagent hatte erwähnt, dass diesem Fall die Aufmerksamkeit übergeordneter Dienststellen galt, und hatte damit offenbar keineswegs übertrieben. Die Gründe mochten bei Oberst Reynolds und seiner Tätigkeit beim Militärischen Geheimdienst liegen. Doch was ging die Sache das FBI an?
»Danke, Kristen.«
»Wie geht’s Ihrem Vater?«
»Er hält sich gut.«
Kein Mensch erkundigte sich je nach seinem Bruder.
Puller beendete das Telefongespräch und setzte die Fahrt nach Drake fort.
Nach der Ankunft am Motel nahm er den Armeerucksack mit aufs Zimmer. Eine spezielle Alarmanlage schützte den Kofferraum seines Malibu, und einige Überraschungsvorrichtungen, die eindeutig nicht der Autohersteller montiert hatte, sicherten ihn zusätzlich. Indessen hatte Puller stets die Ansicht vertreten, dass er selbst den besten Schutz für wichtige Gegenstände verkörperte, darum behielt er sie immer bei sich.
Aus Gewohnheit schlief er mit einer M11 unter dem Kopfkissen. Die zweite Waffe hatte er in der Rechten. Als einzige Unfallschutzvorkehrung verzichtete er auf ein Geschoss im Lauf. Bei Gefahr musste er aufwachen, den Schlitten spannen, das Ziel erkennen, schießen und treffen – das alles innerhalb von drei Sekunden und in der Hoffnung, dass er schnell genug handelte.
Er benötigte dringend Schlaf.
Und tatsächlich war er nach zehn Sekunden eingeschlafen, so wie er es bei der Armee gelernt hatte.
22
Eigentlich ist es das Feuer, an das er sich am deutlichsten erinnert.
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