Zero Gravity
Ayline. Wo ist sie?«
Hätte er sie gefragt, ob sie ihren Kaffee schwarz oder mit Tablette trinken wollte, wäre die Modulation der lasziven Stimme die gleiche gewesen.
Gute Güte. Er hat August und all die anderen umgebracht, und ich habe ihn bereitwillig in meine Wohnung gelassen!
Als ihr bewusst wurde, wie verletzlich sie sich durch ihr ungewöhnliches Hobby gemacht hatte, blinzelte sie. Der gebrauchte Android …die Anzeige im Web war ein Köder! Die wussten genau, wie ich funktioniere … und ich habe nicht nur Köder und Haken geschluckt, sondern auch noch die Hälfte der Angel. Und jetzt werde ich an ihr ersticken.
»Gute Güte«, keuchte sie. »Was hast du - was haben Sie vor? Sie werden mich töten, nicht wahr?« Nicht, dass sie die Antwort auf ihre Frage nicht gewusst hätte; das mörderische … Ding, das sie >Kazuya< getauft hatte, würde seinem besessenen Namensvetter mit Sicherheit alle Ehre machen. Es würde die [Talos]-Dateien an sich nehmen und dann…
»Ich weiß noch nicht genau, Ayline.« Ein bösartiges Lächeln verzerrte das Cartoon-Gesicht ihres Gegenübers.
»Ohne die [Talos]-Daten, ohne Struk und ohne Castro werden Sie einfach nur hilflos anstelle von gefährlich sein.
Ohne Ihre Ressourcen wird es Ihnen in den nächsten einhundert Jahren nicht gelingen, Produkte zu entwickeln, die an unsere herankommen.«
Der 20T. Der Order of Technology.
Sein glühender Blick traf auf ihren eisig schwarzen.
»Dem Orden wäre es natürlich am liebsten, ich verspritzte Ihr Gehirn an der Wand, aber ich habe Sie und Ihre verzweifelten Bemühungen, Ihr Äußeres durch große Taten vergessen zu machen, als recht kurzweilig empfunden.
Sie haben mehr verdient als das da.« Abfällig deutete er auf ihren Körper. »Vielleicht sollten Sie für uns tätig sein, Ayline. Sie sind einzigartig. Vielleicht haben Sie die Chance verdient, sich phasenweise von dem ungeliebten organischen Anhängsel zu befreien - und damit meine ich nicht etwa durch den Tod. Ich könnte Sie nach Hephaistos mitnehmen.«
Die große Hand klappte tatsächlich wieder nach oben und verschloss die Mündung der integrierten Waffe.
Magnetsäume suchten einander; geschmeidig verschmolzen die Ränder der grauen Haut, und der Arm des
>Haushaltsbots< senkte sich.
»Arbeiten für den Order of Technology. Ist das ein faires Angebot, Ayline?« Ihre Gedanken überschlugen sich.
Hatte sie den Saboteur richtig verstanden? Stellte er sie etwa vor die Wahl, zu sterben oder sich ihm anzuschließen, um ein 2OT-Kyborg zu werden?
Entsetzt dachte Ayline Gantt an August Struks [TalosII]-Subjekte. Zwar hatte er zumindest in einem Fall aus einem Ungeheuer einen Menschen gemacht, aber wollte sie solch tiefgreifende Veränderungen, deren Ausgang ungewiss war? Wollte sie Ayline Gantt bleiben oder jemand anders werden, verstümmelt, entmenscht und seelenlos? Wäre sie vor zwei Tagen nach ihrer Meinung gefragt worden, wäre sie vielleicht anders ausgefallen. So aber gab es nur eine Antwort. Sie holte tief Luft.
»Nein. Ich will ganz gewiss nicht so eine - eine Monstrosität werden wie Sie.« Auf Kazuyas grauer Stirn erschienen unnatürlich wirkende Runzeln.
»Ayline, Ihre bedauernswert primitiven Denkprozesse beleidigen mich. Ich ziehe mein Angebot zurück.« »Wenn Sie mich töten, werden Sie die Datensicherung niemals bekommen. UI-Sec wird sie«, sie deutete mit dem Kinn auf die beiden Sicherheitsleute am Boden, »wahrscheinlich schon jetzt vermissen. Wetten, dass bereits Verstärkung anrückt?« Der 20T-Saboteur lachte amüsiert auf.
»Ihr Sicherheitsdienst macht mir gewiss keine Angst, Ayline. Und ich muss Sie nicht töten. Ich kann Sie so beschädigen, dass Sie noch sehr lange an den Nachwirkungen leiden werden. Ist es das, was Sie wollen?« Aus der Rückseite seines anderen Handgelenks glitt eine fast unterarmlange, matte Klinge. »Die Augen aus Ihrer IM-Serie sollen üble Nebenwirkungen haben. Möchten Sie aus erster Hand erfahren, ob die Berichte übertrieben sind?« Die Spitze der Klinge näherte sich Gantts linkem Auge. »Die Sicherungsdateien, bitte.« Und Ayline Gantt gab auf. »Im Tresor.«
Die Klinge verschwand in Kazuyas Handgelenk. »Öffnen Sie ihn, Ayline.«
Sie nahm den direkten Weg. Mit zitternden Beinen stieg sie über einen von Florescus Armen und kniete sich vor dem Medienregal auf den dichten schwarzen Florteppich, bemüht, die grellen Blutspritzer zu ignorieren. Weil auch ihre Finger so stark zitterten, brauchte sie drei Anläufe,
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