Zero Option: Thriller
kannten seine Gegner sich im Bahnhof besser aus als er und waren bereits dorthin unterwegs, um ihn abzufangen. Oder aber sie mussten mehr als zwanzig Geschäfte durchstöbern. Wenn sie schlau waren, dann blockierten sie als Erstes die möglichen Ausgänge. Die Ladenzeile war nicht besonders groß, daher gab es vermutlich nicht mehr als zwei Verbindungen zur Bahnhofshalle. Wenn sie je einen Mann bei jedem Abgang und einen beim Fahrstuhl postierten, dann blieben noch zwei für die Suche, immer vorausgesetzt, Petrenko hielt sich zurück. Aber er hatte bei Victors Anblick so erschrocken ausgesehen, dass Victor nicht davon ausging, dass er sich aktiv an der Suche beteiligen wollte. Wenn die beiden sich im Einkaufszentrum aufteilten, kamen sie schneller voran, aber falls sie ihn tatsächlich entdecken sollten, stand es eins gegen eins. Da sich leicht ausrechnen ließ, was mit dem Großgewachsenen und dessen Helfershelfern geschehen war, ging Victor davon aus, dass sich keiner der neuen fünf alleine mit ihm anlegen wollte.
Die Bar war groß, und die zahlreichen Gäste saßen überall im Raum verteilt, in Sitznischen entlang der hinteren Wand, an Tischen oder an der Theke. Es waren überwiegend Touristen oder Geschäftsreisende, viele von ihnen alleine. Niemand sah aus wie ein Stammkunde. Er fügte sich gut ins Gesamtbild ein, aber Petrenkos Leute suchten ihn. Nur ihn. Einen einzelnen Mann. Also warum sollte Victor es ihnen nicht ein bisschen schwerer machen?
Schon hatte er ein geeignetes Ziel erspäht. Sie saß am hinteren Ende der Theke, allein, balancierte elegant auf einem Barhocker, den Kopf leicht in seine Richtung geneigt, und aß grüne Oliven von einem Cocktailspieß. Ihr Glas war fast leer, also konnte man ihr ohne Weiteres einen zweiten Drink spendieren. Sie hatte nicht besonders viel Ähnlichkeit mit den Geschäftsreisenden, und für eine Touristin war ihre Haltung viel zu entspannt. Er schaute so lange in ihre Richtung, bis sie ihn ebenfalls bemerkte. Sie hielt seinem Blick etliche Sekunden lang stand, und er lächelte sie an. Nicht zu sehr, aber dennoch unmissverständlich. Sie wandte sich ab, dann wieder zu ihm zurück.
Der Barkeeper brachte Victor seinen Drink, und er nahm ihn mit und ging zu der Frau hinüber.
»Darf ich Ihnen noch ein Glas spendieren?«, fragte er auf Russisch. Er musste ziemlich laut reden, um den Klang eines Synthesizers zu übertönen.
Er setzte sich auf den Hocker rechts neben ihr, sodass sie ihn vor den Blicken aus dem Einkaufszentrum abschirmte.
Bedächtig musterte sie ihn vom Scheitel bis zur Sohle. Erst dann erwiderte sie: »Na, klar.«
»Walt Fisher«, sagte Victor.
»Ich bin Carolin.« Sie zog mit strahlend weißen Zähnen eine Olive vom Cocktailspieß. »Sehr erfreut, Walt. Sind Sie Amerikaner?«
Victor nickte.
»Gut«, meinte sie und sprach nun ebenfalls Englisch. »Ich mag Amerikaner.«
Sie besaß einen kultivierten russischen Akzent und ein ausdrucksstarkes Gesicht, das in ihrer Jugend einmal sehr schön gewesen sein musste. Aus der Nähe sah sie aus, als hätte sie ungefähr zehn Jahre mehr auf dem Buckel als er selbst, aber das war vermutlich nur ihrem Schönheitschirurgen zu verdanken. Sie war schlank, hatte lange Beine und kurz geschnittenes, glattes kastanienbraunes Haar. Ein Hauch von Grau am Ansatz. Sie trug einen Bleistiftrock, jede Menge Schmuck sowie eine weiße Bluse mit einem tiefen Ausschnitt.
Er zeigte auf den Barkeeper. »Was trinken Sie?«
»Einen trockenen Martini. Und noch ein paar Oliven. Viele Oliven.«
Victor gab die Bestellung an den Barkeeper weiter.
»Hier gibt es viele Frauen«, sagte Carolin. »Warum also kommen Sie zu mir?«
»Weil Sie nicht aus demselben Grund hier sind wie die anderen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Alle, die hier sitzen, machen hier nur Station, weil sie auf dem Weg sind, irgendwo anders hin wollen. Sie nicht.«
»Ist es so offensichtlich?«
»Nein, aber in meiner Branche braucht man Menschenkenntnis.«
Sie lächelte und nickte dann. »Ich bin hier, weil mein Mann ein fetter Workaholic ist, der nur noch bei seiner Sekretärin einen hochbekommt. Ich bin nach Minsk gekommen, damit er nicht sieht, was ich mache, und in dieser Bar sitze ich, weil ich auf einen bestimmten Typ Mann stehe. Was meinen Sie? Ist das Grund genug?«
»Das ist auf jeden Fall Grund genug.« Er beugte sich dichter zu ihr. »Und ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, aber ich finde, Ihr Mann hat keine Ahnung, was er verpasst.«
Nicht
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