Zero Option: Thriller
Aufnahmen aus Überwachungskameras gab, dann waren sie im besten Fall mehrdeutig.
»Also gut«, sagte sein Gegenüber einen Augenblick später. »Wenn Sie nicht aufgeflogen sind, dann gibt es auch keinen Anlass zur Sorge. Ich melde mich, falls sich daran etwas ändert, aber bis dahin machen wir weiter wie bisher. Im Augenblick brauche ich Sie nicht, aber bleiben Sie in Europa. Lange wird es nicht dauern.«
Nach dem Ende des Telefonats blieb Victor regungslos in der Dunkelheit sitzen. Nur seine Gedanken leisteten ihm Gesellschaft. Zum wiederholten Mal untersuchte er eine der Brieftaschen, die er dem Überwachungsteam abgenommen hatte. Bis auf den weißrussischen Führerschein und ein bisschen Bargeld war sie leer. Natürlich würden sich Fingerabdrücke darauf finden, und falls der Besitzer in irgendeiner Datenbank registriert war, dann konnte die CIA den Betreffenden sicherlich identifizieren. Aber Victor wollte nicht, dass sein Auftraggeber vor ihm wusste, wer seine Gegner waren. Sollte Victors Verdacht sich bewahrheiten, dann konnte ihn das gegenüber der CIA in eine äußerst knifflige Situation bringen.
Er dachte an die Ereignisse im Hotel Europe. Im Rückblick konnte er sich nicht mehr an jede Einzelheit erinnern, aber das war immer so nach einem Kampf. Manche Dinge blieben jahrelang und bis ins kleinste Detail haften, während andere – nicht unbedingt weniger bedeutsame – schon Minuten später komplett gelöscht wurden. Victor wusste nicht, welche physiologischen oder psychologischen Gründe es dafür gab, und es interessierte ihn auch nicht.
Bei der Durchsicht seiner anderen E-Mail-Accounts fand er eine Antwort von Alonso von letzter Woche. Darin stand, dass Alonso nur noch einen Tag in Europa sei und dass ein Treffen, wenn überhaupt, dann nur sehr kurzfristig möglich sei. Seither waren etliche Tage vergangen, also hatte Alonso seinen europäischen Auftrag an einen von Victors Kollegen vergeben. Des Weiteren schrieb Alonso, dass Hongkong rückblickend betrachtet nicht besonders schön gewesen sei und er einen Besuch dort nicht empfehlen könne. Victor löschte die Nachricht. Das Geld hätte er gut gebrauchen können, aber aus irgendeinem Grund war der Hongkong-Job storniert worden. Womöglich hatte der Kunde kalte Füße bekommen, oder die Zielperson war unter einen Zug geraten.
Dann stellte Victor fest, dass er auch noch einen Auftrag eines anderen Maklers verpasst hatte. Ein Kasache mit Sitz in Moskau, für den Victor vor Jahren einmal gearbeitet hatte, bot ihm einen nicht näher spezifizierten, aber sehr gefährlichen Auftrag mit einem beeindruckenden Honorar an. Er hätte Victor sehr gerne verpflichtet. Als Victor antwortete und sich mehr Informationen erbat, kam die Antwort umgehend zurück. Der Empfängeraccount existierte nicht mehr. Gut möglich also, dass der Auftrag genau wie der in Hongkong zurückgenommen oder eben an andere Auftragskiller vergeben worden war. Seine restlichen Konten enthielten lediglich eine Menge Spam, sonst nichts. Niemand bot ihm Arbeit an. Er war jetzt seit über sechs Monaten nicht mehr auf dem Markt, also war es kein Wunder, dass die Makler sich anderweitig orientierten.
Es war nicht davon auszugehen, dass sein Arbeitgeber ihm Schwierigkeiten machen würde, zumindest noch nicht. Der Mann am anderen Ende der Welt wollte genauso sehr wie Victor selbst erfahren, zu wem das Überwachungsteam gehört hatte, das Victor stillgelegt hatte. Aber Victor wollte es als Erster herausfinden. Darum hätte er sein Wissen liebend gerne für sich behalten, aber sein Arbeitgeber wäre mit Sicherheit auch schon bald dahintergekommen, dass diese vier zusätzlichen Leichen keine Zivilisten gewesen waren. Und wenn er merkte, dass Victor sensible Informationen für sich behalten hatte, würde das seine ohnehin unsichere Position gegenüber der CIA zusätzlich schwächen.
Victor wollte seiner Wunde noch einen Tag Zeit zur Heilung geben, dann würde er nach Süden reisen, nach Bologna. Wenn Victor die Identität der Männer, die er in Minsk getötet hatte, noch vor seinem Auftraggeber lüften wollte, dann brauchte er Hilfe.
Kapitel 39
Moskau, Russland
Trotz der lächelnden Gesichter, der Anekdoten und der höflichen Worte war Vladimir Kasakov gelangweilt, frustriert und wünschte sich, irgendwo anders sein zu können. Die Party war der übliche Auflauf der Moskauer Elite. Zahlreiche Politiker, Oligarchen und Prominente, die einander auf die Zehen traten und freundlich taten und sich
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