Zero Option: Thriller
interessierte Victor nicht – auf kurze Entfernungen war es absolut nutzlos –, aber die exponierte Stelle war ein hervorragender Orientierungspunkt. Er ging in die Hocke. Kein Laut war zu hören. Die beiden bewegten sich also nur vorsichtig vorwärts, rechneten mit einem Hinterhalt. Dadurch gewann er wieder etwas Zeit. Wenn sie dachten, er würde sich in sein Versteck zurückziehen, umso besser.
Er blickte sich um, entdeckte glitzernde Blutflecken an einem Baumstamm, ungefähr dort, wo er vermutet hatte. Am Fuß des Baums lag der Kerl, den er erschossen hatte, auf dem Rücken, Arme und Beine weit von sich gestreckt, mit vier winzigen Löchern in der Brust. Gar nicht so schlecht, schließlich hatte Victor kaum Zeit zum Zielen gehabt. Er nahm dem Leichnam den mit Leinenflicken, Blättern und Zweigen bestückten Tarnumhang ab und streifte ihn über. Dann nahm er sich das Funkgerät mitsamt dem Headset, machte es an seiner Kampfweste fest, setzte den Kopfhörer auf, stülpte die Kapuze über den Kopf und tauschte seine Waffe gegen die MP5SD des Toten ein.
Jetzt waren die Chancen also ein klein wenig gleichmäßiger verteilt.
Victor kroch weiter, wühlte sich in ein dichtes Gebüsch, kniete sich an die Seite eines Baums und wartete. Er neigte den Kopf leicht nach vorn, damit die Kapuze ihre größtmögliche Wirkung erzielte. Fünf Sekunden vergingen, dann zehn. Zwanzig.
Eine Reibeisenstimme ertönte leise im Kopfhörer. Der Mann sprach amerikanisches Englisch, Südstaatenakzent. »Hier Cowboy Daddy. Bin bei seinem Versteck. Da ist er nicht. Gamma, siehst du was? Ende.«
Eine Sekunde später kam die Antwort. Auch wieder ein Südstaatenakzent, dieses Mal noch etwas deutlicher ausgeprägt. »Cowboy Gamma. Negativ. Ende.«
»Wie ist deine Position?«
Nach einer kurzen Pause sagte der zweite Kerl: »Bin ungefähr zwanzig Meter westlich, nähere mich dem Fuß der Klippe. Ende.«
Recht herzlichen Dank.
»Verstanden. Augen offen halten. Ende und aus.«
Victor verlagerte sein Gewicht und starrte ins Unterholz. Knapp fünfzehn Meter halb links versetzt bemerkte er einen zitternden dünnen Zweig, nahe dem tiefsten Punkt der Felsnase. Der Mann bewegte sich langsam, geduckt und wäre mit seinem Tarnanzug absolut unsichtbar gewesen, hätte Victor nicht genau gewusst, wo er nach ihm suchen musste. Der Kerl sah genau in Victors Richtung, doch dank des Umhangs erkannte er ihn nicht. Im Normalfall war der Poncho alleine natürlich nicht so wirkungsvoll wie ein vollständiger Tarnanzug, wo auch die Arme und Beine mit Leinenflicken übersät waren, aber seine Feinde rechneten mit einem sehr viel auffallender gekleideten Gegner. Victor zielte genau auf die Brust des Mannes und legte den Schalter auf Einzelschuss.
Dann schoss er einmal. Zweimal. Eine Doppelsalve.
Die schallgedämpften Klacks hallten durch den Wald. Der Mann im Tarnanzug stürzte rückwärts ins Gebüsch. Victor huschte hastig näher, nutzte jeden Baum als Deckung, falls der, der sich Cowboy Daddy nannte, die Schüsse gehört hatte und von weiter oben nachsehen wollte, was passiert war. Victor sah den Leichnam auf dem Waldboden liegen, mit zwei Einschusslöchern in der Brust, auf Höhe des Herzens.
»Cowboy Gamma, waren das Schüsse? Ende«, ertönte eine Stimme in Victors Ohrhörer.
»Positiv«, erwiderte Victor und ahmte den starken Südstaatensingsang des Toten nach. »Hab ihn erwischt.«
Victor hoffte, dass seine Imitation gut genug gewesen war, und wartete ab. Den Blick hielt er ostwärts auf sein ursprüngliches Versteck gerichtet. Die Steigung war zwar so stark, dass er das Versteck selbst nicht sehen konnte, aber den anderen Angreifer, falls dieser ihm entgegenkam.
»Gut gemacht«, kam schließlich die Antwort. »Cowboyehre gerettet und wieder mal ’nen Stier von der Weide geholt.«
»Da kannst du verdammt noch mal einen drauf lassen«, fügte Victor hinzu.
»Aber hör mal«, sagte Cowboy Daddy jetzt. »Wir haben da noch ein Problem. Der Kerl hat seine Zielperson ja noch gar nicht abgeknallt, das heißt, unser Kunde wird ganz schön sauer sein. Ich weiß ja nicht, wie das mit dir ist, aber ich will die ganze Kohle haben. Lass uns mal zusehen, ob wir Mr. VIP nicht selber das Licht auspusten können. Ende.«
»Verstanden. Ende«, gab Victor zurück.
»Also schwing deinen Arsch noch mal über die Mauer und sieh nach, ob du Mr. VIP irgendwo zu sehen kriegst. Falls ja, dann leg ihn um. Leg von mir aus alle um, wenn es sein muss. Ich schnapp mir mal
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