Zero Option: Thriller
Organisation groß genug war und sie es schlau genug anstellten, dann hatten sie vielleicht schon eine Personenbeschreibung oder sogar ein Bild von ihm in Umlauf gebracht. Gut möglich, dass Bahnhöfe und Flughäfen überwacht wurden.
Er schlenderte mehrere Male durch die Bahnhofshalle, kaufte sich einen Becher Kaffee, eine Zeitung, blätterte in Büchern, gab sich ganz entspannt und versuchte dabei, möglichst oft abzutauchen, um eventuelle Beobachter aus der Deckung zu locken. Professionelle Beschatter konnten sich auch als Liebespaar oder als Bahnangestellte tarnen. Petrenko verfügte wohl kaum über derart kompetente Mitarbeiter, die Auftraggeber des Überwachungsteams aus dem Hotel jedoch sehr wohl. Zweimal registrierte er aus dem Augenwinkel eine sportliche und aufmerksame junge Frau mit Buggy, aber ohne Kind. Gut möglich, dass das dazugehörige Kind gerade mit dem Vater unterwegs war, aber vielleicht existierte es auch gar nicht. Er ging an mehreren Schaufenstern vorbei, um im Spiegelbild zu überprüfen, ob sie ihn beobachtete, sah sie aber kein einziges Mal in seine Richtung blicken.
Victor ging zur Toilette und verbrachte fünf Minuten in einer Kabine. Als er wieder herauskam, war die Frau nicht mehr zu sehen. Er warf einen Blick auf die Abfahrtsanzeige, suchte sich einen passenden Zug heraus und reihte sich in die Schlange am Fahrkartenschalter ein. Er benahm sich genau wie alle anderen Weißrussen, völlig unauffällig, aber dann fing er den Blick eines klein gewachsenen Mannes auf. Nur einen einzigen Blick, der womöglich gar nichts zu bedeuten hatte, vielleicht aber auch alles. Der Mann hatte ein rundliches Gesicht, eine Glatze und rund zehn Kilogramm Übergewicht. Er trug eine Bahnuniform. Victor sah einige Sekunden lang auf seine Armbanduhr, dann trat er aus der Schlange. Er ging in eine Apotheke und studierte interessiert verschiedene Shampoos, bevor er noch einmal einen Blick in Richtung des Glatzkopfes warf. Er war nicht mehr zu sehen.
»Hrodna«, sagte Victor auf Russisch, als er wieder beim Fahrkartenschalter war. »Den nächsten Zug.«
»Es gibt nur noch Plätze in der ersten Klasse.«
»Kein Problem.«
Er wartete bis drei Minuten vor Abfahrt des Zuges nach Hrodna, erst dann ging er zum Bahnsteig. Sorgfältig musterte er jeden Mann und jede Frau, die nach ihm den Bahnsteig betraten. Seine Beschatter – falls es welche gab – würden gezwungen sein, ebenfalls zu warten. Sonst fuhr der Zug womöglich los, und sie mussten feststellen, dass Victor gar nicht an Bord war. Aber niemand lungerte auf dem Bahnsteig herum oder benahm sich anderweitig verdächtig. Victor wartete bis eine Minute vor Abfahrt, dann stieg er ein. Niemand folgte ihm.
Sein Sitzplatz befand sich im Erste-Klasse-Waggon an der Spitze des Zuges, am Gang, mit Blick in Fahrtrichtung und an einem Tisch. Victor setzte sich. Gegenüber saß ein Mann.
»Junge, Junge, wie ich das Zugfahren hasse«, sagte der Mann auf Englisch mit amerikanischem Akzent und ziemlich laut. »Diese ständige Warterei. Ich meine, warum fahren wir nicht los? Wissen Sie, was ich meine?«
Victor schaute ihn an, gab aber keine Antwort.
»Walt Fisher«, sagte der Mann und streckte ihm die Hand entgegen. »Ich schätze mal, Sie sind kein Russki.«
Fisher sah aus wie Mitte vierzig. Er hatte den obersten Knopf seines gestreiften Hemds aufgeknöpft, die Krawatte gelockert und sein Jackett auf den Nachbarsitz gelegt. Seine Wangen waren gerötet, und an seinem Haaransatz hatten sich feine Schweißtropfen gebildet.
»Sie meinen Weißrusse«, sagte Victor. Es hatte wohl keinen Zweck, so zu tun, als spräche er kein Englisch. Er schüttelte dem Mann die Hand. Sie war warm und feucht.
»Ist ja auch egal. Weißrusse, Russe, wo ist da der Unterschied?«
Victor zuckte mit den Schultern.
Fisher nickte. »Eben.«
»Wie haben Sie erkannt, dass ich weder das eine noch das andere bin?«, wollte Victor wissen. Es interessierte ihn tatsächlich.
»Die reisen nicht erster Klasse.«
»Aha«, erwiderte Victor, ohne darauf einzugehen, dass in ihrer Nähe zahlreiche Gespräche auf Russisch geführt wurden.
Fisher gestattete sich ein überhebliches Lächeln. »Und, haben Sie auch einen Namen, mein Junge?«
»Peter.«
»Sie sind ein Teebeutel … ich meine Brite, hab ich recht?«
»Sehr aufmerksam«, bestätigte Victor und ließ seinen Akzent noch ein wenig mehr ins Klischeehaft-Britische gleiten.
»Das will ich hoffen, mein Freund. Das macht schließlich so an die
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