ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
Euro illegaler Herkunft in die legale deutsche Wirtschaft eingeschleust: eine Parallelwirtschaft mit einem eigenen Bruttoinlandsprodukt, der Öffentlichkeit und den ermittelnden Behörden verborgen, aber mit realen Auswirkungen auf das Leben aller Deutschen.
Boccaccio erzählt von einem Land mit einem Berg aus geriebenem Käse, in dem die Menschen den ganzen Tag damit beschäftigt sind, Maccheroni und Ravioli herzustellen, einem Land, in dessen Flüssen Vernaccia-Wein fließt. Für die italienischen Mafiosi liegt dieses Land nur ein paar Flugstunden entfernt.
Kokain # 6
Die Londoner City ist eine Lunge, die sich weitet und wieder zusammenzieht. Wie ein Blasebalg saugt sie von Montag bis Freitag, wenn Büros und Börse geöffnet sind, Menschen an. Ein Gewusel von Leuten in teuren Nadelstreifenanzügen und Kostümen von Armani. Dann kommt der Abend, und die Ameisen, die tagsüber das Zentrum bevölkert haben, ziehen ab und lassen es ausgelaugt und leer zurück wie einen Fußball, aus dem die Luft entwichen ist.
Es ist die Wirtschaft, die ein- und ausatmet, und sie tut es in tiefen Zügen. Stundenlang hält sie die Luft an, dann stößt sie sie aus, und wenn die Mittagszeit kommt, ergießen sich die kleinen Ameisen, die gerade noch in ihren Büros verschanzt waren, auf der Suche nach Nahrung auf die Straßen. Schicke Restaurants, gesichtslose Buden mit Tischen und Stühlen aus durchsichtigem Plastik, auf Hochglanz gebrachte Sushi-Bars und nach Eichenholz riechende Pubs, alle werden sie überrannt. Die Wirtschaft braucht Kohlenhydrate, und sie braucht Treibstoff. Es ist viel von Entpersönlichung die Rede, aber der Turbokapitalismus wird immer noch von Männern und Frauen aus Fleisch und Blut gesteuert. Von Männern und Frauen, die Nahrung aufnehmen müssen. Einen Salat, wenn du am Nachmittag noch arbeiten und Leistung erbringen musst. Ein Nudelgericht oder eine Suppe, denn du weißt, um die Weltfinanzen zu verwalten, musst du jede Menge Energie bunkern. Oder eine Pizza, denn der Tag ist noch lang, und es ist Zeit für
eine ordentliche Mahlzeit. Du gehörst zu einem Heer, das zwischen 13 und 14 Uhr den Leadenhall Market überflutet, der schon vielen Filmen als Kulisse gedient hat, ohne dass man ihn wiedererkennt. Ein Heer, das sich schnell und präzise bewegt. Du betrittst ein Lokal, suchst dir mit deinen Kollegen einen Sitzplatz und schnappst dir eine Speisekarte auf dem Tisch. Du gehst das Angebot durch, das du inzwischen auswendig kennst, wählst ein Gericht, das du schon tausendmal probiert hast, und gehst dann direkt zur Weinkarte über. Es gibt sehr teure Importweine, viele aus Italien. Du legst den Zeigefinger auf den ersten Namen und gehst rasch die Liste durch, sachkundig, als suchtest du einen bestimmten Wein, dann fährst du mit dem Finger wieder hoch und bleibst bei einem Sauvignon hängen. Du zögerst kurz und klappst dann die Karte mit einem Knall zu. Du hast dich entschieden. Du rufst den Kellner und nennst den Namen eines Weines, der nicht auf der Karte steht, nie auf der Karte gestanden hat. Aber der Kellner nickt und zieht sich schweigend zurück. Es ist kein Fehler, keine Halluzination. Es ist ein Code. Ein Wein, der nicht auf der Karte steht, ist ein Gramm Kokain. Du musst Energie aufnehmen, wenn du in der Finanzwelt arbeitest, du musst schnell und effizient sein, blitzschnell die richtigen Entscheidungen treffen können. So geht es jeden Tag, von Montag bis Freitag, zwischen 13 und 14 Uhr, an diesem Ort, wo der Verkauf und der Konsum von Kokain endemisch geworden sind. In der City, dem Herzen der Weltfinanz, wo Wechselkurse, Indizes und Quotierungen über Leben und Tod entscheiden. Zwischen einem Mozzarella-Sand-wich und einer Pizza Quattro stagioni wechseln Grammtütchen Kokain ungestört den Besitzer und häufen sich zu Kilos des weißen Pulvers, das du dir nachher reinziehen kannst, in der Toilette deines Büros oder des Lokals, in dem du gerade
gegessen hast. Der Nachmittag ist lang. Der Abend ist lang. Seit dem Ausbruch der Krise hat sich der Konsum weiter erhöht. Das war vorherzusehen. Tag für Tag treffen nur noch schlechte Nachrichten ein. Wie sollst du das aushalten? Die Mittagspause ist vorbei. Regeneriert und bereit, den zweiten Teil des Tages mit frischem Geist und hochfliegendem Optimismus anzugehen, verlangst du die Rechnung. Alles wird ordnungsgemäß aufgelistet: Salade Niijoise, Reis auf kantonesische Art, die Dinkelpizza und der Wein, der nicht auf der Karte steht. Warum auch
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