ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
dazu, dass beide Seiten quitt sind. Daher kann es nicht überraschen, dass sechzehn Jahre später das angekohlte Heiligenbildchen in der Hosentasche des ermordeten Tommaso Venturi den Erzengel Michael zeigt, den Schutzpatron der ’Ndrangheta. Für Tommaso sollte die Nacht zum 15. August ein Fest werden. Er war achtzehn Jahre alt geworden, mündig und damit reif für die Aufnahme in den Clan. Tommaso verließ das Restaurant Da Bruno in Duisburg, ohne zu wissen, dass er sterben würde. Die Mitglieder des Nirta-Strangio-Clans waren nach Deutschland
gekommen, um den Mord an Maria Strangio zu rächen, einem kollateralen Opfer des Anschlags auf ihren Mann Giovanni am ersten Weihnachtsfeiertag des Vorjahres in San Luca. Tom-maso und seine fünf Begleiter, allesamt Mitglieder der Pelle-Vottaris, mussten für den Tod eines Strangios mit dem Leben bezahlen.
Duisburg und San Luca. Was in Kalabrien gilt, hat auch in Deutschland zu gelten. Was in Italien beschlossen wird, muss auf deutschem Territorium unverzüglich umgesetzt werden. Und Ordnung ist von grundlegender Bedeutung, denn die Konkurrenz im Drogengeschäft ist gnadenlos. Man muss sich inmitten hundert verschiedener Nationalitäten behaupten und verhindern, dass die türkischen, balkanischen oder libanesischen Gruppen die Oberhand gewinnen. Land, Wasser und Luft müssen überwacht und die drei Hauptkorridore kontrolliert werden, auf denen die Drogen nach Deutschland gelangen: zu den dortigen Konsumenten oder zur Weiterverarbeitung und zum Weitertransport in andere europäische Staaten. Im Mai 2013 wurde ein Mann verhaftet, der eine über Frankfurt und Berlin nach Spanien transportierte Frachtsendung mit zwölf elektrotechnischen Verstärkern in Empfang nahm; unter den Platinen befanden sich Zellophantüten mit fast sieben Kilo reinsten Kokains. Deutschland ist ein expandierender Markt, und die günstige geographische Lage bietet enorme Chancen. Die Italiener sind hier neben den Türken die wichtigsten Akteure im Kokainhandel, aber sie wollen sich nicht die Hände schmutzig machen, das wäre zu mühselig und zu teuer. Sie beherrschen den Großhandel, den Rest überlassen sie Gruppen wie zum Beispiel den Rockerbanden. Und wenn eine Aktion misslingt oder ein Pistolenschuss allzu laut knallt, wissen die italienischen Organisationen, was zu tun ist, denn Deutschland ist ein stolzes Land, das viel auf sich hält. Dieses Bild soll niemand stören, also kehrt man den Schmutz lieber unter den Teppich. Das weiß auch Salvatore S. (Name geändert), ein erfolgreicher Unternehmer aus der Toskana mit Vorstrafen wegen Drogenschmuggels.
Seine kriminelle Karriere in den neunziger Jahren geht einher mit seinem Aufstieg in der Gastronomie Deutschlands. Während er die Zusammenarbeit mit dem Romeo-Clan aus San Luca intensiviert, bewirtet er ahnungslose Deutsche mit den kulinarischen Genüssen seiner Restaurants, darunter auch ein Lokal in Duisburg, das später zum Schauplatz dramatischer Ereignisse wird. Sein spektakulärster Coup reicht ins Jahr 1994 zurück, als er die Notwendigkeit erkennt, sich über die neuesten Technologien im Kampf gegen den Drogenhandel zu informieren. Er gibt sich als Dolmetscher einer usbekischen Delegation aus und schmuggelt sich in eine streng geheime Tagung ein, die Interpol in Rom organisiert hat. 1995 steht er unter Verdacht, und von nun an taucht sein Name regelmäßig in deutschen und italienischen Polizeiakten auf. Die Carabinieri-Sondereinheit ROS und die deutschen Geheimdienste verdächtigen ihn als »einen der Hauptorganisatoren der kalabrischen ’Ndrangheta, insbesondere der Gruppe aus San Luca, die entschlossen ist, in Deutschland zu investieren und Restaurants, Pizzerien und Hotels in Duisburg und Erfurt zu kaufen«. Doch in all diesen Jahren bleibt der gute Ruf des Geschäftsmanns Salvatore S. unangetastet. Dasselbe gilt für Angelo A. (Name geändert), der sich nach dem Massaker in Duisburg lautstark darüber empörte, dass die Vorverurteilung süditalienischer Einwanderer als Mafiosi nicht mehr hinnehmbar sei. Wer hart und erfolgreich arbeite, müsse anderen deutschen Staatsbürgern ebenbürtig behandelt werden. Doch im Dezember 2007 liefert ein Bericht der ROS, in Zusammenarbeit mit den deutschen Geheimdiensten entstanden, neue Details über ein Hotel, dessen Miteigentümer Angelo A. ist: »Das Hotel, das zweifelsfrei mit legalem Geld finanziert wurde, bietet polizeilich gesuchten Mafiosi aus dem Clan von San Luca ausgezeichnete
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