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ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

Titel: ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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nicht? Es ist ein Arbeitsessen. Die Spesen abzurechnen ist in Ordnung.
14 Routen
    Mir fehlt das Meer. Die überlaufenen und verdreckten Strände, an denen ich meine Sommer verbrachte. Die Rufe der fliegenden Händler, die Kokosstücke, salzige Kringel, Mozzarella, Getränke oder Wassereis verkaufen. Die Mütter, die nach ihren Kindern schreien, die voll aufgedrehten Kofferradios, aus denen die Übertragung eines Fußballspiels oder die Popsongs der Neomelodici im neapolitanischen Dialekt plärren. Die Bälle, die auf Handtüchern landen und sie mit Sand berieseln oder den Falschen am Kopf treffen. Sich im trüben, lauwarmen Wasser treiben zu lassen und endlos aufzuweichen. Sogar der Sonnenbrand fehlt mir, der Kontakt der geröteten Haut mit dem Bettlaken, der Schüttelfrost und die Schlaflosigkeit bis in die frühen Morgenstunden. Die Sehnsucht spielt einem solche Streiche, dass man Dingen nachtrauert, die man eigentlich nicht noch einmal erleben möchte.
    Noch mehr fehlt mir das Meer, das ich später auf kleinen Booten befahren habe. Ich fand es gut, mir auf diese Weise ein bisschen Geld zu verdienen. Wenn die Küste entschwand und mich nur noch die endlos blaue Weite umgab, der Salzgeruch, der Gestank von Netzen und Diesel, schöpfte ich neuen Atem. Wenn das Meer unruhig war, wurde mir übel, oft musste ich mich übergeben. Doch jetzt ist auch dies eine kostbare Erinnerung, der Beweis, dass ich wirklich aufs Meer gefahren bin, ein Beweis, den ich noch in meinem Magen trage.
    Ich bin mit Büchern über das Meer aufgewachsen. Die Aufzählung der Schiffe in der Ilias faszinierte mich, und die Odyssee war für mich schon als Kind eine Erkundung der Grenzen des menschlichen Wissens. Ein listiger und mutiger Mann hatte sie für alle Menschen ausgelotet. Ich lernte die Taifune und die Flauten kennen, die den Kapitänen Joseph Conrads all ihr Können abverlangten, und seitdem begeistern sie mich. Ich habe mich der besessenen Jagd auf Moby-Dick hingegeben, den in einem Pottwal verkörperten Dämon der menschlichen Seele. Damals hielt ich zu dem großen Meeressäuger, oder ich fühlte mich wie Ismael, der als Einziger den Schiffbruch der Pequod überlebt hat, um davon erzählen zu können. Jetzt weiß ich, dass ich genauso besessen bin wie Kapitän Ahab. Das Kokain ist mein weißer Wal. Es ist genauso wenig zu fassen und durchpflügt alle Meere.
    Sechzig Prozent des in den letzten zehn Jahren beschlagnahmten Kokains wurden auf dem Meer oder in einem Hafen sichergestellt. Das steht in einem Bericht der UNO mit der nüchternen, aber eindrucksvollen Überschrift: Der transatlantische Markt des Kokains. Sechzig Prozent sind viel, sehr viel. Denn auch alle anderen Transportwege werden ständig befahren. Die Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten, dem weltgrößten Konsumenten des weißen Stoffs, ist löchrig wie ein Sieb. Es vergeht keine Sekunde, in der nicht jemand diese Grenze mit Kokain in Säuglingswindeln oder in Omas Kuchen für die Enkelkinder überquert. Etwa 20 Millionen Menschen passieren sie jedes Jahr, mehr als jede andere Grenze dieser Welt. Die USA schaffen es bestenfalls, ein Drittel der mehr als 3000 Kilometer zu überwachen, trotz 500 Kilometer Grenzzäunen, trotz Hubschraubern und Infrarotsystemen. Dadurch wird nicht einmal der Zustrom illegaler
    Einwanderer aufgehalten, die in den Wüsten ihr Leben riskieren und die coyotes reich machen, die Menschenschmuggler im Dienst der mexikanischen Kartelle. Vielmehr ist jetzt eine zweite Einnahmequelle entstanden: Wer nicht die 1500 bis 2000 Dollar für den coyote hat, kann die Schuld dadurch begleichen, dass er das Koks in sein Gepäck packt.
    Es ist nicht möglich, alle Personen, Autos, Motorräder, Lkws und touristischen Reisebusse zu kontrollieren, die an den fünfundvierzig offiziellen Grenzübergängen Schlange stehen. Es gehen Fahrzeuge durch, die auf raffinierte Weise präpariert sind, aber auch einfache Kaffeedosen oder Vorräte an Chilischoten, die mit ihrem starken Geruch die Hunde täuschen. Die Narcos transportieren das Kokain mit Magneten unter Autos, die die Grenze auf einer Schnellspur passieren dürfen. Für sie ist der beste Kurier derjenige, der gar nicht ahnt, dass er einer ist. Wenn er durchgekommen ist, finden sie schon einen Weg, sich das Koks wiederzuholen. Sie schleudern das Kokain aus der Wüste von Sonora über die Absperrungen in die Wüste von Arizona, mit Katapulten, die den Maschinen Leonardo da Vincis nachempfunden sind. Sie

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