ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
stellen heute ein attraktives Marktsegment dar. Die Narcos mussten lediglich das Angebot diversifizieren und billiges Kokain auf den europäischen Markt werfen. Heute kostet ein Gramm Kokain auf den Straßen von Paris um die 60 Euro, vor fünfzehn Jahren waren es noch 100 Euro. Nach Angaben der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht haben etwa 13 Millionen Europäer mindestens einmal in ihrem Leben gekokst. Die Hälfte von ihnen ist zwischen fünfzehn und vierunddreißig Jahre alt. In Großbritannien hat sich die Zahl der Kokainkonsumenten binnen zehn Jahren vervierfacht. Nach Schätzungen der französischen Zentralstelle für den Kampf gegen den illegalen Drogenhandel hat sich die Zahl der Konsumenten zwischen 2002 und 2006 verdoppelt. Der Markt hat sich inzwischen stabilisiert, er hat seine Abnehmer und seine Gepflogenheiten. Nicht die Werbung, sondern die Gewöhnung hält den Markt in Schwung. Es werden Bedürfnisse geschaffen und so tief im Bewusstsein verankert, dass sie gar nicht mehr als solche wahrgenommen werden. Mit der
Gewöhnung an das Kokain ist in Europa ein schweigendes Heer von Konsumenten entstanden, das in geschlossenen Reihen marschiert, gleichgültig und resigniert und mit einer Abhängigkeit, die zur Gewohnheit, ja fast schon zur Tradition geworden ist. Europa will Koks, und die Narcos finden immer einen Weg, um es hierherzuschaffen.
Ich sitze Mamadu gegenüber, einem jungen Afrikaner mit freundlichem, aber entschlossenem Gesichtsausdruck. Er erzählt mir, seine Eltern hätten ihn eigentlich Hope, Hoffnung, nennen wollen, aber dann hätten sie entdeckt, dass dieser Name anderswo in der Welt Mädchen vorbehalten ist. Als er geboren wurde, versuchte sein Land, Guinea-Bissau, zum ersten Mal Wahlen mit mehreren Parteien durchzuführen. Nach den Wunden des Bürgerkriegs und mehreren Staatsstreichen schien die Zukunft ungewiss, aber man hegte große Hoffnungen. Seine Familie stammte ursprünglich aus Bissora, war aber in die Hauptstadt Bissau umgezogen. Die Geschichte wiederholt sich, der Fortschritt zwingt dazu, sich von den eigenen Wurzeln zu lösen. Alles strebt in die Stadt, das Ziel aller Wünsche. Doch die Hoffnung der Eltern, ihrem Sohn eine bessere Zukunft zu sichern, wurde wieder einmal enttäuscht: Bürgerkrieg, Staatsstreich, Attentate und endemische Armut ließen das Land in tödlicher Ohnmacht erstarren. Mamadu lernt die Kunst, sich durchzuschlagen, eine Profession, die seit Menschengedenken die meisten Beschäftigten hat, und fängt an, eine Eigenschaft zu entwickeln, die Bürokraten auf der ganzen Welt seinen Landsleuten zuschreiben: Resignation.
Doch seit einer Weile hat sich etwas geändert. Sein Kontinent ist weiß geworden. Die Drogenhändler haben ihn zu einer wichtigen Anlaufstelle für ihre Geschäfte gemacht.
»Dein Land liegt heute im Zentrum der Welt«, sage ich zu ihm.
Mamadu lacht und schüttelt mit bedächtiger Langsamkeit den Kopf.
»Aber ja«, beharre ich. »Dein Land handelt mit einem der meistbegehrten Produkte.«
»Warum nimmst du mich auf den Arm, mein Freund?«, antwortet Mamadu, jetzt ernst. »Welches Produkt? Cashewkerne vielleicht? Oder Wanderheuschrecken?«
Tatsächlich ist Guinea-Bissau wie seine Nachbarländer ein Land ganz nach dem Geschmack der Narcos. Afrika ist fragil.
In Afrika gibt es keine Regeln. Die Narcos dringen in dieses riesige Vakuum ein und nutzen wackelige Institutionen und ineffiziente Grenzkontrollen für ihre Zwecke. Es ist leicht, eine Parallelwirtschaft entstehen zu lassen und ein armes Land in ein riesiges Depot zu verwandeln. Ein Depot für Europa, das von dem weißen Pulver zunehmend abhängig wird. Wenn man weiter bedenkt, dass die Bürger Guinea-Bissaus aufgrund der kolonialen Vergangenheit für die Einreise nach Portugal kein Visum benötigen, liegt Mamadus Land tatsächlich im Zentrum der Welt.
Mamadu erzählt mir von jenem Tag des Jahres 2009, an dem er zufällig an der Residenz des Staatspräsidenten Joao Bernardo Vieira vorbeikam. Er, der immer schon schreckhaft war, hielt die Schüsse zunächst für Knallfrösche und drehte sich nach dem Lärm um. Da sah er die auseinanderstiebende Menge, während zwei Autos mit quietschenden Reifen im Zickzackkurs zwischen den zu Tode erschrockenen Passanten davonfuhren. Am Boden lag der von Schüssen durchsiebte Körper eines ihm unbekannten Mannes. Erst den Schlagzeilen der Zeitungen am nächsten Tag entnahm Mamadu, dass es sich um
den Staatspräsidenten
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