ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
den Monitoren in verschiedenen Farben. Kokain ist gelb. Aber wie am Flughafen Amsterdam eine »hundertprozentige
Zollkontrolle« nur bei Flugzeugen durchgeführt wird, die aus bestimmten Ländern kommen, wie den Niederländischen Antillen, Surinam und Venezuela, so ist es auch in den großen europäischen Häfen unmöglich, sämtliche einlaufenden Ladungen vollständig zu überprüfen. Der Hafen von Rotterdam zum Beispiel ist nicht nur der größte Europas, sondern auch einer der am besten mit Kontrollgeräten ausgestatteten. Dennoch kann man bei einer Lagerkapazität von 11 Millionen Containern nur versuchen, das gezielte oder stichprobenartige Screening so umfassend wie möglich zu gestalten. Außerdem kostet die Kontrolle Zeit. Das weiß jeder, der sich zu Beginn der Ferien in die endlose Schlange des Security Check eines Flughafens einreiht und dabei riskiert, seinen Flug zu verpassen. Niemand entschädigt den unglücklichen Passagier, aber bei Waren ist Zeit Geld: Geld, das ein Unternehmen von den Zollbehörden zurückfordern kann. Wenn eine verderbliche Ware, die sich nach der Kontrolle lediglich als Obst, Blumen oder tiefgekühlter Fisch herausstellt, allzu lange festgehalten wird, kann die Empfängerfirma, eine große Supermarktkette zum Beispiel, Schadenersatz verlangen. Wenn also die Kontrolle nicht sofort durchgeführt werden kann, lässt man die Ware lieber ohne Screening durch den Zoll.
Der Systemmanager tut genau das: Er studiert die Kontroll-systeme und ihre Lücken, um daraus Vorteile zu ziehen. Detektoren der neuesten Generation? Dagegen kann man sich mit Kohlepapier wappnen. Wenn man es vor der Ladung anbringt, verschwindet diese vom Bildschirm.
Die Tätigkeit eines Systemmanagers umfasst eine Vielzahl komplexer Variablen. Gehen wir mal davon aus, dass es sich lohnt, das Kokain unter verderblicher Ware versteckt auf die Reise zu schicken. Nehmen wir noch die Grundregel hinzu,
dass die Tarnladung einem für das Herkunftsgebiet typischen Exportprodukt entsprechen soll: Warum dann nicht die aus Südamerika abgehenden Päckchen in Bananenkisten verstecken? In der Tat sind Bananen aus den oben erwähnten Gründen eine häufig verwendete Tarnladung. Hinzu kommt, dass der Markt für Bananen ein globaler und ganzjährig konstanter Markt ist. Doch gerade aus diesem Grund könnten Bananenladungen verdächtig sein. Außerdem - eine weitere Komplikation - kann ein bestimmter Zielhafen einen Rückgang der Eingänge verzeichnen, der nicht die Bananenlieferungen betrifft, sondern andere Produkte. Das erleben wir gerade im Zuge der Krise. Und wenn die Zollbehörden weniger überlastet sind, wird es umso schwieriger, die Bananen unbeachtet durch den Zoll zu schleusen. Also muss das Programm umgestellt werden, indem man weniger auf den raschen Durchlauf beim Zoll abhebt als vielmehr auf die findige und perfekte Tarnung. Der Systemmanager müsste sich also ständig über die Situation in sämtlichen Häfen und über die Entwicklung sämtlicher Märkte der verschiedenen zur Tarnung geeigneten Waren auf dem Laufenden halten, eine Aufgabe, von der einem schwindlig werden kann. So als müsste er gleichzeitig für alle Import-ExportGesellschaften eines ganzen Kontinents arbeiten - oder vielmehr zweier Kontinente, da zu den Lieferungen aus Südamerika inzwischen auch jene aus Westafrika hinzugekommen sind. Die Liste der zur Tarnung benutzten Waren weist wie die Symbole auf den Päckchen eine beeindruckende Vielfalt auf. Alle bei den Transporten verwendeten Tarnwaren aufzulisten ist ein Ding der Unmöglichkeit. Und noch unmöglicher ist es, etwas über jene Waren in Erfahrung zu bringen, unter denen das Kokain noch nie entdeckt wurde.
Der Däumling: Der Held von der Größe eines Daumens muss ohne Helfer oder Zauberkünste auskommen und ist ganz auf sein helles Köpfchen angewiesen. Der Däumling symbolisiert am besten das Ungleichgewicht der Kräfte, das alle spüren, die den Kampf gegen den weltweiten Kokainhandel führen. Schon seit Jahren fühle auch ich mich wie ein Däumling und folge beständig seinem Beispiel. Ich versuche, jede Brotkrume aufzuheben, die ich im Dickicht des Unterholzes verstreut finde, jeden Brösel der Erkenntnis, der mir helfen kann, mich zu orientieren. Doch je genauer ich den Drogenhandel betrachte - oft bis an die Grenzen der Besessenheit -, desto deutlicher spüre ich, dass mir etwas entgeht, das meine Vorstellungskraft übersteigt. Wissen allein reicht nicht aus. Es gilt, eine tiefere
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