ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
trockengelegt, um ihre wertvolle Ware darin unterzubringen. Manchmal ankern Fracht- oder Fischfangschiffe vor der afrikanischen Küste und warten, dass kleinere Schiffe, Segelboote, Pirogen oder Küstenschiffe das Kokain an Land bringen. Handelsrouten, die Tag und Nacht befahren werden, sind durch die intensivierte Überwachung und die starke Zunahme rekordverdächtiger Beschlagnahmungen so unsicher geworden, dass die Drogenhändler gezwungen sind, auf wendige Flugzeuge zu setzen. Eklatant war der Fall einer Boeing 727-200, die auf einer behelfsmäßigen Landebahn mitten in der Wüste Malis niederging und an Ort und Stelle in Brand gesteckt wurde, um die Spuren zu verwischen. Man fand nur noch den verkohlten
Rumpf. Die Ermittlungen ließen darauf schließen, dass die Drogenhändler Kokain und Waffen transportierten und dass die radikalen Islamisten ihnen Geländewagen und Lkws sowie ihre geheimen Routen zur Verfügung stellten, um nach Algerien, Marokko und Ägypten zu kommen. Von dort sollte der Stoff über Griechenland und den Balkan nach Europa gelangen. Die Vermutung sollte sich ein paar Monate später als zutreffend erweisen. Die Boeing 727-200, in Guinea-Bissau zugelassen, kam vom internationalen Flughafen Tocumen in Panama und sollte in Mali Station machen, um nachzutanken. Sie hatte keine Flugerlaubnis, und die Besatzung hatte falsche, möglicherweise saudi-arabische Papiere. Angesichts des ausgebrannten Flugzeugs stellten sich die Ermittler die Frage: Wenn die Narcos es sich leisten können, ein Flugzeug zu opfern, das zwischen 500 000 und einer Million Dollar wert ist, wie viel Kokain haben sie dann damit transportiert? Schließlich kann ein Flugzeug dieser Größenordnung bis zu zehn Tonnen Kokain aufnehmen.
Drogen-Muli zu werden erfordert Vorbereitung und Willensstärke. Man muss Regeln beachten und den eigenen Körper beherrschen können. Mamadu erlernt die Geheimnisse dieses Metiers an einem schwülen Nachmittag in einer verlassenen Lagerhalle an der Peripherie von Bissau. Johnny hat ihm gesagt, er solle mit einem leeren Koffer kommen. »Warum mit einem leeren?«, wollte Mamadu wissen, ohne eine Antwort zu erhalten. In der Mitte der Halle ist ein langer, niedriger Tisch, auf dem Kapseln liegen, die kaum größer sind als normale Aspirintabletten. Johnny steht hinter dem Tisch wie ein Küchenchef, der seine Kreationen präsentiert. Er gibt Mamadu ein Zeichen vorzutreten und sagt ihm, er solle auf dem
Plastikstuhl vor ihm Platz nehmen und den Koffer auf seine Beine legen.
»Mach ihn auf. Und sag mir, was drin ist.«
Mamadu reißt die Augen auf und zögert.
»Keine Angst. Mach ihn auf und sag mir, was drin ist«, wiederholt Johnny.
»Er ist leer.«
Johnny schüttelt den Kopf.
»Nein«, sagt er, »er ist voll. Du bist ein Tourist, und du hast Ersatzwäsche und Badeklamotten mit. Wenn jemand, so wie ich, wissen will, was in deinem Koffer ist, musst du diese Antwort geben. Das ist die erste Lektion, die wichtigste.«
Regeln. Ein Muli muss vor allem ein exzellenter Schauspieler sein. Ein Tourist eignet sich optimal. Aber es ist besser, nicht übergewichtig zu sein. Zu viele Drogenkapseln blähen den Bauch auf, und die Zollbeamten haben ihren Blick geschärft: Zuallererst werden dicke Männer angehalten, die allein und nur mit Handgepäck reisen. Dann ist da die Bezahlung. Ausschließlich nach Übergabe. Zu viele Mulis haben sich in der Vergangenheit mit dem Geld der Narcos und mit den Drogenkapseln in Europa ein paar Tage lang ein schönes Leben gemacht. Und schließlich ist da noch das körperliche Training.
»Ich mag dich, Mamadu. Du bekommst nur erstklassige Produkte. Die Gesundheit unserer Mitarbeiter ist uns viel wert«, sagt Johnny.
Mamadu ist vielleicht naiv, aber dumm ist er nicht. Er atmet erleichtert auf, als er erfährt, dass er nur den Mund aufzumachen braucht und keine andere Körperöffnung.
»Ich mag dich, Mamadu. Diesmal nehmen wir nur den Haupteingang.«
Das Training ist sehr einfach: Man fängt mit einer Kapsel an und kämpft mit dem Würgereiz. Der Vorgang wird mehrmals wiederholt, bis der Muli ein paar Dutzend dieser Kapseln geschluckt hat und es schafft, wie ein afrikanischer Tourist zu gehen, der vom alten Europa fasziniert ist. Mamadu ist bereit.
Afrika verhält sich zu Mexiko wie ein riesiger Supermarkt zum Lebensmittelgroßhändler. Und Kokain ähnelt einer der großen Seuchen, die sich mit atemberaubender Geschwindigkeit auf dem gesamten afrikanischen Kontinent
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