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ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

Titel: ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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versengt, und sie spuckten Rauch und Asche. Sie hatten Verbrennungen erlitten, waren aber am Leben. Auf ihren kleinen Pfoten tappten sie hinter ihrer Mutter her, die jeden einzelnen Zuschauer in den Blick zu nehmen schien. Die Hündin betrachtete die gomeros , die Soldaten und alle anderen, die untätig und verzweifelt dastanden. Ein Tier wittert Feigheit. Und Angst respektiert es. Angst ist ein Überlebensinstinkt, der größten Respekt verdient. Angst überkommt einen, zur Feigheit entschließt man sich. Die Hündin hatte Angst, trotzdem stürzte sie sich in die Flammen, um ihre Jungen zu retten. Doch kein Mensch rettete einen anderen Menschen. Man hatte alle verbrennen lassen. Das erzählte Don Arturo. Man muss kein bestimmtes Alter haben, um das zu begreifen. Er mit seinen acht Jahren begriff das sofort, und bis zum heutigen Tag, als Neunzigjähriger, hat er diese Wahrheit nicht vergessen: Tiere besitzen Mut, und sie wissen, was es heißt, das Leben zu verteidigen. Die Menschen prahlen mit ihrem Mut, aber sie tun nichts anderes, als zu gehorchen, zu kuschen und sich durchzumogeln.
    Zwanzig Jahre lang bedeckte Asche die Felder, dann kam wieder ein General. Auf den Latifundien aller Länder dieser Erde gibt es immer jemanden, der sich im Namen eines Mächtigen in Uniform und Stiefeln auf einem Pferd präsentiert. Oder in einem Geländewagen, das hängt von der jeweiligen Epoche ab. Der General befahl den Bauern, wieder gomer-os zu werden. Schluss mit dem Getreideanbau. Zurück zum Schlafmohn. Zurück zum Opium. Die Vereinigten Staaten rüsteten zum Krieg, und dringender als Kanonen, Gewehrkugeln und Panzer, dringender als Flugzeuge und Flugzeugträger, dringender als Uniformen und Stiefel brauchten sie Morphin.
    Ohne Morphin kann man keinen Krieg führen. Wer schon einmal krank war, schwer krank, weiß, was Morphin bedeutet: die Erlösung von den Schmerzen. Ohne Morphin kann man keinen Krieg führen, denn Krieg bedeutet zerschmetterte Knochen, zerfetzte Körper und Schmerzen. Die Entrüstung über die Gewalt kommt später. Für die Entrüstung gibt es Traktate und Kundgebungen, Kerzen und Mahnwachen. Für die körperlichen Schmerzen gibt es nur eins: Morphin. Vielleicht leben einige meiner Leser in dem Teil der Welt, in dem noch Ruhe und Frieden herrscht. Sie kennen die Schreie in den Krankenhäusern, die Schmerzensschreie von Gebärenden und Kranken, von schreienden Kindern und Erwachsenen mit ausgekugelten Gelenken. Aber sie haben vermutlich noch nie die Schreie eines Menschen gehört, der von einer Gewehrkugel getroffen wurde. Dessen Knochen von Maschinengewehrfeuer zerschmettert wurden oder von den Splittern einer Explosion, die ihm den Arm oder das halbe Gesicht zerfetzt hat. Das sind Schreie, die man nicht mehr vergisst. Mit solchen Schreien wachen Kriegsveteranen und Reporter, Ärzte und Berufssoldaten jeden Morgen auf. Wer die Schreie eines sterbenden oder verwundeten Frontsoldaten gehört hat, dem helfen keine kostspieligen Psychotherapien und keine Streicheleinheiten. Nichts ist antimilitaristischer als der Schrei eines Kriegsversehrten. Nur Morphin setzt diesen Schreien ein Ende und wiegt die Soldaten im Glauben, sie könnten mit heiler Haut davonkommen und die Schlacht gewinnen.
    Die USA brauchten also Morphin für den Krieg und forderten daher Mexiko auf, die Opiumproduktion zu erhöhen. Sie verlegten sogar Schienen, um den Transport zu erleichtern.
    Wie viel Opium benötigten sie? Viel. So viel wie möglich. Ar-turo war inzwischen erwachsen geworden. Er war fast dreißig und hatte schon vier Kinder, aber er würde die Felder, die er bebaute, nicht anzünden wie sein Vater. Auch wenn er wusste, dass ihm früher oder später der Befehl dazu erteilt werden würde. Als der General schon aufgebrochen war, eilte Arturo ihm auf Feldwegen nach. Er hielt den Tross an und schlug einen Handel vor. Der größte Teil seines Opiums solle an den Staat gehen, der es den US-amerikanischen Streitkräften verkaufte, der Rest als Schmuggelware an die Yankees, die Opium und Morphin zum Vergnügen konsumierten. Der General war einverstanden, für eine ansehnliche Provision und unter einer Bedingung: »Du bringst das Opium selbst über die Grenze.«
    Der alte Arturo ist wie eine Sphinx. Keiner seiner Söhne gehört zu den Narcos, den Drogenhändlern. Keiner seiner Enkel und keine seiner Schwiegertöchter. Aber die Narcos respektieren ihn, weil er der älteste Opiumschmuggler dieser Gegend ist. Vom gomero wurde Arturo zum

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