ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
Fuduli mit seiner Entscheidung getan hat, das Provinzkommando von Vibo Valentia aufzusuchen. Er hoffte, sich damit von den Wucherzinsen zu befreien, die ihm die Luft abschnürten, und sich der immer größeren Wahrscheinlichkeit zu entziehen, für viele Jahre hinter Gitter zu müssen. Als er dann unter dem Decknamen »Sandro« zum Kronzeugen, ja Gehilfen der Justiz wurde, standen ihm die Maßnahmen zu, die ihn schützen und ihm helfen sollten, sich eine neue Existenz aufzubauen - irgendwo weit weg von dem Ort, wo man ihn als einen Verräter betrachtete, als ein Blatt, das am Fuße des Baums verrotten sollte. Eines aber wusste er genau: Wenn sie dahinterkommen, bringen sie mich um, und selbst wenn sie erst sehr viel später herausfinden, wer sie verraten hat, werden sie nicht eher ruhen, als bis sie mich gefunden haben. Klare Überlegungen, die dennoch zu allgemein, zu abstrakt waren. Er hatte sich nicht vorstellen können, welche Angst er tagtäglich ausstehen würde: ein Blatt des Baums in den Händen derer, die entschlossen waren, den Lymphstrom zu unterbrechen. Jede Entscheidung geht über das reine Kalkül hinaus und bezieht ihre Stärke und Unausweichlichkeit aus dem, was unwägbar bleibt. Du weißt nie, wie hoch der Preis, den du zu bezahlen hast, tatsächlich ist. Du weißt nicht, ob du dem täglichen Druck standhalten kannst. Du verstehst nicht wirklich, was du da tust, was du getan hast. Das ist die Gewissheit, die auch ich in den vergangenen sieben Jahren gewonnen habe. Oft wache ich auf und habe das Gefühl, ich hätte einen Faustschlag aufs Brustbein bekommen. Dann stehe ich auf, versuche, wieder freier zu atmen, und sage mir: Im Grunde ist es richtig so, wie es ist.
Tatsächlich wird sich Bruno der Gefahren und Bedrängnisse, die ihm noch bevorstehen, schon am Tag nach der ersten Lieferung bewusst: der einzigen, bei der alles glatt läuft, auch wenn zwischen Kalabrien und Kolumbien Geiseln ausgetauscht werden. Doch Natale Scali erfährt, dass Barbieri Bruno gezwungen hat, seine Kontakte preiszugeben. Er ruft Barbieri
zu sich und bedroht ihn, holt sich dann aber trotzdem die letzten zwanzig Kilo Koks ab, für die er allerdings weniger als die Hälfte des Einkaufspreises bezahlen will. Jetzt ist es Barbieri, der Scali den Tod wünscht. Die zweite Partie ist bereits verschnittene Ware, die niemand in Kalabrien kauft. Die nach Australien geschickte Ladung wäre die einträglichste gewesen, weil dort der Marktpreis ziemlich hoch ist, allerdings wurde das meiste davon beschlagnahmt. Die Narcos glauben zunächst, sie seien betrogen worden. Als sie dann die Nachricht in einem Artikel im Internet finden, sagen sie, sie seien für die Ware nur bis zur Zollabfertigung im Hafen verantwortlich. Bruno kümmert sich, er schlichtet den Streit und handelt einen Rabatt aus. Doch jetzt - so unglaublich es klingt - belastet seine Schuldenlage sogar den Import von piedra muneca und Kokain. Und da Fuduli bereits bei den Wucherern in der Kreide steht, drängen ihn Barbieri und Ventrici, weitere Kredite bei Geldgebern aufzunehmen, die den Mancuso und den von ihnen abhängigen Familien nahestehen. Die Herren der Provinz, die er bisher vor der Tür halten konnte, blicken jetzt durch die Fenster seines Hauses.
Alles wäre glimpflich verlaufen, wenn die 870 Kilo, die Bruno im Mai und Juni 2000 in Empfang nahm und die en bloc an einen Kunden vom Kaliber eines Pasquale Marando, Boss von Plati, verkauft wurden, nicht neue Probleme verursacht hätten. Doch es kommt zu einem Sturm des Irrsinns, der von einem kolumbianischen Minikartell ausgeht und das neue Minikartell der beiden Freunde aus Vibo Valentia mitreißt. Die kolumbianischen Kokainlieferanten sind ein Familienunternehmen, doch zwei der Brüder können einander nicht ausstehen. Felipe, zuständig für Verkauf und Transport, hegt einen tiefen Hass gegen Daniel, der für die Produktion verantwortlich ist und als
Firmenchef betrachtet werden kann. »In Kolumbien fallen mehr Menschen dem Neid zum Opfer als dem Krebs, lautet ein kolumbianisches Sprichwort.« Das wird Bruno den Staatsanwälten sagen, als er diese unfassliche Geschichte erzählt. Neid zerfleischt und zerfrisst, doch die Aussicht auf Profit schweißt die Brüder zusammen wie Pech und Schwefel, ein giftiges Amalgam. Felipe wird mit Aufgaben betraut, bei denen er sich austoben, ja seine Neigung zur Gewalttätigkeit und seine Prahlsucht sogar nutzbringend einsetzen kann. Aber sein Neid braucht ein Ventil, und er sucht
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