ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
vom 3. auf den 4. Juni 2003 fangen die spanischen Behörden vor den Kanarischen Inseln den Fischkutter Alexandra ab, der 2591 Kilo Kokain an Bord hat. Die Ware war wahrscheinlich auf dem offenen Meer vor der westafrikanischen Küste übergeben worden, in Togo oder Benin, wo die ’ndrine über Infrastrukturen für die Lagerung und das Umladen verfügen.
Aber damit ist es nicht zu Ende. Die folgende Operation führt über den Atlantik bis hinauf zur Nordsee. Am 29. Oktober
2003 wird im Hamburger Hafen eine Fracht aus Manaus, Brasilien, abgefangen, die über die kroatische Stadt Rijeka gekommen war: 255 Kilo Kokain, in Kunststofffolie verpackt und im doppelten Boden des Containers versteckt. Die Zwischenstopps erhöhen die Sicherheit des Drogenhandels, weil der Container jedes Mal eine neue Nummer bekommt. Die Fracht in Hamburg war für die Ventrans in San Lazzaro di Savena bestimmt, eine Firma im Besitz von Francesco Ventrici, die 2002 von einem Internetportal der Lkw-Transportbranche aufgrund ihrer »Seriosität, Zuverlässigkeit und Sorgfalt« zum »Unternehmen des Monats« gewählt worden war. Der Mann des
Mancuso-Clans galt in dem Ort unweit von Bologna, in dem er wohnte, als vorbildlicher Unternehmer.
Erst am 28. Januar 2004, mehr als drei Jahre später, schlägt die Polizei im Hafen von Gioia Tauro zu. Sichergestellt werden 242 Kilo Kokain aus Cartagena, die in piedra muneca -Blöcken versteckt und für Marmo Imeffe bestimmt waren. Es ist der letzte Akt, der Augenblick, in dem die Ermittler die Maske fallen lassen. Jetzt werden auch Haftbefehle erlassen. Die Operation Decollo ist abgeschlossen.
Kolumbien, Venezuela, Brasilien, Spanien, Deutschland, Kroatien, Italien, Afrika, Australien. Das sind die ersten Fixpunkte, die auf der Weltkarte des Kokainschmuggels verzeichnet werden können. Doch es sind nicht die einzigen, können nicht die einzigen sein. Die Ermittler sagen immer wieder, dass sie nur zehn Prozent des für den europäischen Markt bestimmten Kokains beschlagnahmen. Das ist ein geringeres unternehmerisches Risiko als der Warendiebstahl in Supermärkten oder faule Schecks, von denen kleine und mittelständische Betriebe betroffen sind. Aber das ist nur ein Teil der bitteren Wahrheit, die die Ermittler öffentlich äußern dürfen. Es ist extrem schwierig, im Körper geschmuggelte Kokainkapseln aufzuspüren. Es ist schwierig, Schiffe abzufangen, die auf hoher See unterwegs sind oder bei Nacht irgendwo vor der Küste haltmachen, selbst dann, wenn die Polizei über detaillierte Informationen verfügt. Häufig können die Drogenhändler ihr Ding vor den Augen der Fahnder ungestraft durchziehen. Doch es gibt noch einen weiteren, komplizierteren Aspekt. Der Staat muss mit Hilfe seiner exekutiven und judikativen Organe die Drogen von der Straße verschwinden lassen und die Organisationen, die sie verkaufen, stoppen und möglichst zerschlagen. Zwei Ziele, die kaum gleichzeitig zu realisieren sind. Wenn immer wieder derselbe Hafen kontrolliert wird, wissen die Schmuggler, dass sie ins Visier der Fahnder geraten sind, und werden ihre Routen ändern und die Scheinfirmen wechseln. Sie werden an anderen, unverdächtigen Orten an Land gehen und in Häfen einlaufen, die weniger streng überwacht werden. Bei der Operation Decollo verfügten die Ermittler über einen ganz besonderen Joker: einen Informanten, der sie zeitnah über neue Lieferungen und neue Bestimmungsorte in Kenntnis setzte.
Das ist in der Regel nicht der Fall. Trotz umfangreicher Ab-höraktionen trifft die Gegenseite oft Vorsichtsmaßnahmen, die es den Ermittlern schwer machen, Routen und Zielorte zu eruieren. Und wenn die Fahnder die Spur verlieren, steht der Erfolg der gesamten Operation auf dem Spiel, denn sie brauchen Beweise.
Und selbst wenn, wie in diesem Fall, viele Details bekannt sind, muss jeder Schritt genau erwogen werden. Man muss den Gegner täuschen und so tun, als wäre ein Glückstreffer gelungen. Doch es ist nicht gesagt, dass die Gegenseite den Trick nicht durchschaut. In diesem Pokerspiel zwischen Räubern und Gendarmen kommt es jedoch vor allem darauf an, die Alarmstufe nicht zu hoch anzusetzen und nicht zu lange aufrechtzuerhalten. Die Ermittler können jedoch sicher sein: Auch wenn die Drogenhändler eine Runde aussetzen, werden sie das Spiel nicht aufgeben, da sie wissen, dass sie mal gewinnen und mal verlieren. Und solange es eine Nachfrage gibt, bleibt das Risiko für sie überschaubar.
Wer weiß, wie schwer sich Bruno
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