ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
seine Rolle, seine Reisen, die Lieferungen der Steinblöcke und des darin versteckten Kokains. Zunächst will man ihm nicht glauben. Man will seine Aussagen überprüfen, erbittet die Beurteilung durch eine sachkundige Stelle. Doch vor dem Hintergrund laufender Ermittlungen erkennt die Carabinieri-Sondereinheit ROS, dass Fudulis Angaben korrekt und wahrheitsgetreu sind. Zwei Jahre lang ist er für sie eine »vertrauliche Quelle«, dann macht Bruno einen weiteren Schritt und wird zum Kronzeugen der Justiz. Zu einem verdeckten Mitarbeiter. Unvorstellbar im Mutterland der ’Ndrangheta. Ein V-Mann.
Die Untersuchung, zu der Fuduli Informationen lieferte, trug den Namen Operation Decollo und gilt bis heute als die Mutter aller großen Ermittlungen zum internationalen Drogenhandel der kalabrischen Familien. Das Blatt hat sich vom Baum gelöst, der Baum ist sichtbar geworden. Sichtbar bedeutet nicht versehrt. Die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaften und Polizei in Italien, Holland, Spanien, Deutschland, Frankreich, Venezuela und Australien sowie die Kooperation mit der amerikanischen Drogenpolizei DEA und der kolumbianischen Justiz führte zu Festnahmen in der Lombardei und im Piemont, in Ligurien, der Emilia Romagna, der Toskana und Kampanien sowie zur Sicherstellung von fünfeinhalb Tonnen Kokain. In wirtschaftlicher und operativer Hinsicht ist das nur ein Kratzer in der Rinde des Baums. Die eigentliche Bedeutung der Ermittlungen liegt in den durch sie gewonnenen Erkenntnissen. Und auch die Beschlagnahmungen werden vor allem als Beweis dafür gewertet, dass die Kokainladungen in dem und dem Land eintreffen oder von dem und dem Land ausgehen, manchmal mit Zwischenstopps und Umladungen entlang der Route. So können die Dimensionen des Baums oder zumindest die seiner tragenden Äste genauer erfasst werden.
Anfang 2000 verlassen drei Container, die an Bord von Frachtschiffen der dänischen Reederei Maersk Sealand aus dem kolumbianischen Baranquilla nach Kalabrien gekommen waren, den Hafen von Gioia Tauro. Sie sind für Fudulis Firmen
bestimmt und enthalten einen marmorähnlichen Stein, in dem 220, 434 beziehungsweise 870 Kilo Kokain versteckt sind. Ein weiterer Container mit 434 Kilo Kokain, gleichfalls in präparierten Steinblöcken versteckt, wird im März 2000 von Baran-quilla auf den Weg gebracht und erreicht im August den Hafen der australischen Stadt Adelaide. Er ist für Nicola Ciconte bestimmt, der kalabrische Wurzeln hat, aber in Wonthaggi geboren wurde, einem Bauerndorf südöstlich von Melbourne. Einige Zeit später beschlagnahmt die australische Polizei zwei Drittel dieser Ladung im Lager eines Kalabresen. Dann schlägt die Polizei auch in Italien zu, aber nach einem vorsichtigen strategischen Plan. Es kommt ihnen nicht auf die Menge der beschlagnahmten Drogen an, sondern darauf, dass ein neuer Transportweg aufgedeckt wird und dass die Spuren zu einem weiteren Ableger führen, dem lombardischen. Am 23. Januar und am 17. März 2001 werden auf dem Mailänder Flughafen Malpensa 12,1 und 18,5 Kilo Kokain beschlagnahmt, das mit zwei Linienflügen aus dem venezolanischen Caracas eingetroffen ist. Ein Mitarbeiter der Flughafengesellschaft SEA, der die Koffer mit dem Kokain vom Förderband nimmt, ist ein Mann aus San Calogero. Die Zweigstellen der Mancuso und der Pesce aus Rosarno sind darauf spezialisiert, die Ware schnell auf den Mailänder Markt zu bringen, wo die Nachfrage nach Kokain unstillbar ist. Es vergeht fast ein Jahr, bevor die Polizei erneut einen Frachter ins Visier nimmt. Am 10. Januar 2002 ist es so weit. Am Hafen von Vigo in Galizien wird ein aus Ecuador kommender Container kontrolliert, der 1698 Kilo Kokain geladen hat, in Konservenbüchsen mit Thunfisch in Öl für die Gastronomie. Die Fracht ist für die Conserva Nueva in Madrid bestimmt. Bruno Fuduli, der die Lieferung zwischen den
Kolumbianern, dem Clan von Vibo Valentia und den Spaniern vermittelte, hat die Behörden informiert.
Am 3. April 2002 findet die erste große Operation in Italien statt. Bestimmungsort der Lieferung ist Gioia Tauro, doch sie landet versehentlich im Hafen von Salerno, wo sie beschlagnahmt wird. Diesmal kam der Container aus dem venezolanischen La Guajira, und die 541 Kilo Kokain sind in den Paletten von Granitfliesen versteckt, die für Marmo Imeffe bestimmt sind.
Nach einem weiteren Jahr des Abwartens und der trügerischen Ruhe erfolgt der wichtigste Schlag am Haupteinfallstor für Kokain nach Europa. In der Nacht
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