ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
Gefährlichsten. Die AUC und die FARC: Todfeinde, die die Produktion und der Verkauf von Kokain in großem Stil verbindet, aber auch die Tatsache, dass sie einen jederzeit holen und verschwinden lassen können. Dann kannst du nur noch die Maronna ’ra Muntagna, die Madonna dei Polsi, um Gnade bitten und beten, dass deine Kontaktpersonen dort unten in Kalabrien die verspätete Zahlung noch rechtzeitig abwickeln. Kolumbien als rechtsfreier Raum ist ein unendlich großer As-promonte. Das hätte ihm Papi aus San Luca erklären können, wenn Scali den Kontakt zu ihm hergestellt hätte, wovor er sich wohlweislich hütet. Doch Fuduli hat längst selbst festgestellt, wie stolz seine Landsleute darauf sind, dass sie die einzigen Kunden sind, von denen die Kolumbianer nicht einmal eine Anzahlung verlangen. Sie sind Ehrenmänner, deren Wort gilt. Gewiss, sie haben ihr Wort. Doch darüber hinaus verlangen sie ein menschliches Pfand, das sie festhalten, bis der letzte Nar-codollar gutgeschrieben ist. Und Bruno weiß, dass es beim nächsten Mal auch ihn treffen könnte.
Dieses Leben führt Bruno nun schon seit Jahren. Er verhandelt mit den Kolumbianern und überwacht den Prozess, bei dem die quadratischen Blöcke der piedra muneca mit Löchern versehen werden, so dass sie aussehen wie ein Schweizer Käse. In diese Löcher kommen mit Kokain gefüllte Plastikröhren, bevor sie mit einer Paste aus Bohrabfall versiegelt werden. Dann kontaktiert Bruno die kolumbianischen Exportgesellschaften, die Strohfirmen des Drogenhandels, damit sie die für einen seiner Betriebe bestimmten Steine abholen. Zurück in Kalabrien, nimmt er die vom Zoll in Gioia Tauro freigegebene Ware in Empfang und bringt sie in einen Steinbruch bei San Calogero. Vielleicht ist dies der kritische Moment. Der Moment, in dem Bruno diesen zwanzig Tonnen schweren Kalksteinblöcken gegenübersteht, die, wenn sie nicht durchlöchert wären, nach dem Schneiden, Schleifen und Polieren ihre ganze Schönheit enthüllen würden: die goldgelbe Farbe und die an Travertin erinnernde Maserung. Doch Bruno, der ehemalige Eigentümer von Lavormarmi und Inhaber der Scheinfirma Marmo Imeffe, an den diese Lieferungen adressiert sind, muss jetzt den Arbeitern, seinen Komplizen, beibringen, wie sie die Zylinder herausholen, ohne dass die auch nur einen Kratzer abbekommen. Wie sie das Kokain bergen und die Reste jenes Schatzes verwerten können, der in Erdzeitaltern entstanden und jetzt nicht viel mehr wert ist als eine leere Blechdose. Es ist ihm lieber, wenn das Kokain in Blumen, stinkenden Lederballen oder Thunfischdosen versteckt wird. Aber dann wird es nicht nach Italien geschickt, und er bekommt es nicht zu sehen.
Wenn Barbieri oder Ventrici zu ihm sagen, er könne jetzt nach Hause fahren, um den Rest brauche er sich nicht zu kümmern, stürzt Bruno auf dem Nachhauseweg ins Bodenlose. In eine Leere, die ihm die Augen öffnet. Dies ist nicht das Leben, das er führen wollte. Dies ist nicht das Leben, für das er bereit ist, ins Gefängnis zu gehen oder getötet zu werden. Er fühlt sich alt. Mit inzwischen fast vierzig Jahren ähnelt er den durchlöcherten Steinblöcken: eine gescheiterte Ehe, ein bereits verlorenes Unternehmen und weitere Betriebe, die er nicht freikaufen kann. Er fühlt sich elend, wenn er daran denkt, dass er einst den Bossen von Limbadi die Stirn geboten hat, die sich in Nicotera, seinem Heimatort, mit der Cosa Nostra zu jenem legendären Gipfel trafen, bei dem die Kalabresen Toto Riinas Aufforderung widersprachen, gegen den Staat Krieg zu führen. Damals war er noch ein junger Mann mit einer kleinen Firma und einem für die Mancuso lächerlichen Umsatz gewesen, doch er hatte ihnen jahrelang Paroli geboten. Dann zerstörten sie seine Existenz, nur um zu zeigen, dass sie ihn ausquetschen konnten wie eine Zitrone aus der Ebene von Rosarno. Und jetzt lässt er sich ausquetschen wie der letzte rechtlose Einwanderer.
Das kann es nicht sein. Er ist nicht so. Wenn er als junger Mann keine Angst hatte, sollte er auch jetzt keine haben, da er weiß, dass über allen Köpfen, in Kalabrien wie in Kolumbien, eine Hand schwebt, die jederzeit Vernichtung bringen kann -zur Strafe, irrtümlich oder aus reiner Willkür. Wer weiß, wie lange er solche Gedanken mit sich herumtrug und bis zum Überdruss wälzte. Eines Tages jedenfalls trifft Bruno eine Entscheidung. Erneut geht er zu den Carabinieri. Diesmal nicht, um eine Schutzgelderpressung anzuzeigen, sondern sich selbst:
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