Zerrissen - Thriller
groß.
„Charl otte behauptet, dass Raoul i hren Sohn entführt hat.“
„Wie kommt Sie darauf?“
Während Isabella die gesamte Geschichte erzählte, rührte sich Maike keinen Millimeter. Die Anspannung war förmlich zu spüren.
„Sie wollen damit sagen, dass Sie denken, dass auch mein Sohn von ihm entführt wurde?“
„Ich behaupte gar nichts. Ich forsche nur nach. Aber ich denke, das wären ein paar Zufälle zu viel, oder?“
„Wissen Sie , was komisch ist?“
„Was?“
„Ich hatte schon immer ein ungutes Gefühl bei Raoul.“
Maike stand auf und ging zu einem Bücherregal. Sie nahm ein Fotobuch heraus und zeigte es ihr.
„Das war mein Sohn. “
Maike zeigte auf einen lachenden, blonden Junge, der Niklas zum Verwechseln ähnlich sah. Er war etwas älter, aber sonst gab es nicht viele Unterschiede.
„ Er war wundervoll und er mochte Raoul. Wissen Sie, Raoul konnte gut mit Kindern umgehen.“
„Er war ja auch Lehrer “, erwiderte ich. Sie nickte.
„Wa s wissen Sie über Raoul Richter? “
„Nicht viel. Er hat mich verführt und ich war ihm erlegen. Haben Sie ihn je kennengelernt?“
„Nein, ich kenne ihn nicht. Aber Charlotte hat ebenfalls gesagt, dass Sie ihm willenlos verfallen war.“
„Ja, so war es. Was aber komisch war, dass er nichts über seine Vergangenheit erzählte . Ich habe angefangen , nachzuforschen. Wissen Sie, ich bin schon oft auf die falschen Männer hereingefallen. Deshalb wollte ich bei ihm kein Risiko eingehen.“
„Was haben Sie herausgefunden?“
„Das ist es ja, ich habe nichts gefunden! “
Sie stand auf und ging wieder zu m Fenster. Isabella blätterte weiter in den Erinnerungen einer ihr völlig fremden Welt. Sie hatte nie Kinder haben wollen, war nu r auf Karriere aus, doch das war lange vorbei. Auch heute sehnte sie sich nicht nach Kindern, sie wäre ohnehin eine schlechte Mutter. Sie blieb an einem Foto hängen, das Raoul mit dem Jungen zeigte. Sie schnitz t en etwas in einen Baum. War Raoul wirklich ein Monster? Ode r war Charlotte verrückt und nun geflüchtet? Sie wusste es nicht. Würde es vielleicht nie erfahren.
„Die Polizei hat monatelang nach Justin gesucht. Sie haben alles versucht , um ihn zu finden, aber bis heute gibt es keine heiße Spur. Es wäre mir lieber, ich wüsste, dass er tot ist, denn dann könnte ich mir sicher sein, dass er keine Schmerzen mehr hat.“
Isabella war nicht bei der Sache. Das Foto kam ihr so bekannt vor. Sie hatte es schon mal gesehen. Nein, es war nicht das Foto, es war das Taschenmesser. Dasselbe Messer hatte auch Niklas.
„Maike, wo ist dieses Taschenmesser?“
„Was?“
„Das Messer, das ihr Sohn hier in der Hand hält?“
„Keine Ahnung. Ich weiß es nicht, warum?“
„Hat er es von Raoul bekommen?“
„Ja, ich denke, aber ich weiß es nicht mit Sicherheit. Ich nehme es an.“
„Auch Niklas hatte so ein Messer.“
*
Ich nahm das Geräusch nicht wirklich wahr, das sich in mein Bewusstsein grub. Zu viel Zeit war vergangen seit dem letzten Schluck Wasser, zu viele Dinge schwebten mir im Kopf herum. Jemand zerrte an mir, schüttelte mich, doch ich wollte niemanden mehr hören. „Komm schon, wach auf.“
Ich hörte seine Stimme – Raoul! Doch warum war ich so erstaunt darüber? Es war mir doch immer klar gewesen, dass er es sein musste, doch die nackte Wahrheit, es wirklich zu wissen, war noch viel schlimmer, als der Verdacht. Ich wollte das Wasser nicht trinken, das er mir verabreichte, doch ich konnte nicht anders, ich musste trinken. Er wusch mich, kämmte mir die Haare und zog mich an. Ich bewegte mich die ganze Zeit nicht, ich war teilnahmslos, als wäre ich im Krankenhaus und nicht bei Sinnen. Ich wollte mich wehren, aber wozu? Es hatte doch alles keinen Sinn mehr.
„Du musst wieder zu Kräften kommen, das Ausruhen hat ein Ende.“
Ich beobachtete ihn. Er sah aus wie immer – braungebrannt, groß, stark. Er richtete mir mein Zimmer ein, schleppte eine Matratze die Treppe herunter, einen Tisch und zwei Stühle. Er will mich hier gefangen halten , dachte ich . Die ganze Zeit redete er.
„Wir fangen nochmal von vorne an. Du und ich. Wir gründen eine eigene Familie.“
Dabei lächelte er. Ich sagte nichts. Ich wollte nicht riskieren, dass er mich wieder allein ließ. Nur er war der Weg zu meinem Sohn und in die Freiheit. Ich musste mitspielen und das würde ich tun – sobald ich wieder bei Kräften war.
Ich saß an dem Holztisch, den mir Raoul in mein Verlie s
Weitere Kostenlose Bücher