Zerrissen - Thriller
Problem hatte. Zwar trank ich da noch nicht viel, aber auch immer dann, wenn ich ein Problem hatte. Die Sitzung fand in einem anderen Gebäude der Anstalt statt, in der ich mich seit me iner Verurteilung befand. Ich wu rde mit vier weiteren Frauen durch den Garten in die Klinik geführt, die direk t an die geschlossene Anstalt grenzte. Es war eine Suchtklinik, hier waren Menschen, die eine Therapie machten, genau wie ich. Mit dem kleinen Unterschied, dass ich eine Haftstrafe absaß, die anderen aber freiwillig hier waren. Zum Tatzeitpunkt war ich alkoholisiert und nicht zurechnungsfäh ig, deshalb kam ich nicht ins Gefängnis, sondern in eine geschlossene Anstalt, die ich allerdings unter Auflagen in ein paar Monaten verlassen durfte. Der Raum, in dem die Gespräche stattfanden, war komplett in Weiß gehalten: weiße Wände, weiße Stühle, weiß e Fliesen. Der Raum wirkte kalt und steril . K eine Ahnung , warum so ein Raum für Menschen aussah, die ohnehin bereits am Abgrund lebten. Ich setzte mich auf einen der Stühle und faltete die Hände. Wir begannen alle gleichzeitig: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine von dem anderen zu unterscheiden.“ Dann wartete n wir , bis der Gruppenleiter das Gespräch begann. Ich war nie besonders gläubig und ich hatte einen großen Hass auf Gott, doch dieses Ritual und dieses Gebet gaben mir Kraft und Halt. Heute waren wir zu acht. Es gab zwei Neue, die ich noch nie gesehen hatte. E ine davon hieß Isabella Wilden. Eine Frau, die ihre besten Zeite n bereits hinter sich hatte, und zerbrochen wirkte . Genau wie ich, dacht e ich.
„Wie ihr seht, haben wir zwei Neuzugänge. I sabella und Veronika. Bitte seid genauso nett zu Ihnen, wie ihr es selbst am ersten Tag erfahren habt.“
Alle in der Runde nickten, keine sagte etwas. Wir hatten alle Respekt voreinander. Wir saßen ja im gleichen Boot: a m Leben zerbrochene, abhängige Menschen.
„Isabella, es ist bei uns üblich, dass sich jeder bei der ersten Gruppensitzung vorstellt und erzählt, warum er hier ist.“
Isabella rückte nervös auf ihrem Sitz herum, strich sich den Schweiß von der Stirn. Sie war sicherlich noch nicht allzu lange hier. Ihr Entzug war noch nicht lange vorbei.
„Isabella?“ ermunterte sie Paul, unser Gruppenleiter. Ein dicker, ungepflegter M ittdreißiger, der aber trotzdem auf den ersten Blick sehr sympathisch und vertrauensvoll herüber kam .
„Ich bin Isab ella Wilden und ich war mal Hauptkommissarin.“
Ein Raunen ging durch die Runde. Sie hat te wohl vergessen, dass hier auch verurtei lte Schwerverbrecherinnen saßen .
„Ja, ich habe für die Polizei ge arbeitet und zwar ziemlich gut, bis mir ein Fehler unterlaufen ist. Ein Fehler, der mich zu der gemacht hat, die ich heute bin . “
M ehr sagte sie nicht. Sie sah zu Boden und Paul übernahm wieder die Führung. Der Rest der Stunde ging sehr schnell vorüber. Ich war nicht mehr bei der Sache, konnte mir nicht vorstellen, was für ein Fehler Isabella unterlaufen sein sollte. Ich beobachtete sie und plötzlich starrte sie mich an. Ihre Augen waren weit aufgerissen, doch dann ging ein schiefes Lächeln über ih re Lippen. Es drückte mehr als Unsicherheit aus, es war - Angst ! Ja, sie hatte Angst. Nach der Sitzung durften wir immer noch 15 Minuten zusammensitzen und uns austauschen, doch heute beobachtete ich nur. Isabella Wilden saß die ganze Zeit reglos auf ihrem Stuhl. Sie nagte an ihren Fingernägeln, die bereits blutig schimmerten. Sie bemerkte, dass ich si e anstarrte, doch sie erwiderte meinen Blick nicht. Ich hatte keine Angst, deshalb war es mir auch egal, dass ich sie begaffte. Ich war schon einige Jahre hier und wusste mich zu verteidigen. Schließlich wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als ich aufgefordert wurde , zu gehen.
Zurück in meiner Zelle schwelgte ich in Erinnerungen an meine Familie. Ich dachte an unser Haus im Schwarzwald, das der große Traum meines Mannes gewesen war. Es war ziemlich abgelegen, eigentlich am Ende der Welt , daher wollte es mir erst nicht gefallen. Zweimal waren wir hingefahren und hatten es uns angesehen. Es war eigentlich viel zu groß für uns. Fünf Stockwerke, die früher auch als Pension genutzt wurden, doch mein Mann verliebte sich in dieses Haus und zahlte einen ungeheuren Preis dafür. Er fuhr täglich eine Stunde nach Offenburg und wieder zurück, das war ihm
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