Zerrissen - Thriller
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Zur gleichen Zeit la g Isabella Wilden in ihrem Bett, nur wenige Meter entfernt von Charlotte. Dass sie einmal in einer Entzugsklinik landen würde, hätte sie nie gedacht. Isabella war früher Kriminalhauptkommissarin gewesen , eine d er besten in ganz Berlin . Sie verdiente gut, hatte nette Kollegen und löste souverän einen Fall nach dem anderen. Das war allerdings Jahre her. Es sollte der Fall ih rer Karriere werden, sollte sie auf alle Titelblätter bringe n, doch sie machte einen Fehler. Ein Fehler, der einem Kind das Leben kostete und den Täter unbestraft ließ . Sie erinnerte sich noch zu gut an die mitleidigen Blicke ihrer Kollegen, als sie erhobenen Ha uptes das Büro für immer verließ . Damals hielt Isabella nur eine Kiste mit ihren Habseligkeiten dicht an ihren Körper gepresst. Es waren nicht viele Dinge, die sie mitnahm – ein paar Fotos, die auf dem Schreibtisch standen, eine Tasse mit der Aufschrift „ Supercop “, ein paar Bücher und ihre Not-Kosmetiktasche, mehr war es nicht. Zuhause vernichtete sie alles.
„Polizistin s c huld am Tod von Millionärssohn“
„Übergabe sch eiterte am Ehrgeiz der Polizei“
„Vater des toten J ungen erhebt schwere Vorwürfe“
So oder ähnlich lauteten d ie Schlagzeilen , die sich damals überschlugen, und Isabella blieb nichts anderes übrig, als zu kündigen.
Isabella konnte nicht schlafen, sie sehnte sich so sehr nach eine m Schluck Alkohol, der ihr Wärme und Sicherheit versprach. Die erste Sitzung war schrecklich gewesen, alle starrten sie an. Es waren Verbrec herinnen dabei, doch wenn sie die Situation genauer betrachtete, war sie ja auch eine von ihnen. Immer wieder sah sie das Bild des kleinen Jungen vor sich, für dessen Tod sie verantwortlich war. Sie versuchte die Augen zu schließen, doch der Schlaf wollte nicht kommen. Was aber kam, waren die Alpträume, die sie weit in ihre Jugend und Kindheit zurückwarfen. Träume an schlaflose Nächte, in denen sie unter der Bettdecke ausgeharrt hatte , um den Streit und die dumpfen Schläge auf d en Körper ihrer Mutter nicht hören zu müssen . Genauso schwach wie damals fühlte sie sich auch heute – Jahrzehnte später.
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Nach einer Woche wurde ich wieder in die Klinik geführt und ich ho ffte, dass Isabella dort sein wü rde. Warum? Das wusste ich nicht, aber sie faszinierte mich. Ich war neugierig, ich wollte wissen, wie eine Hauptkommissarin in einer N erven- und Entzugsklinik landen konnte . Als ich hineingeführt wurde, saß sie am selben Platz wie vor einer Woche. Sie sah nicht besser aus, aber auch nicht schlechter, fast so, als wäre sie nie weg gewesen. Alle mussten von ihrem Erlebnis erzählen, das der Ausschlag für den Absturz darstellte. Die meisten wussten nämlich ganz genau, warum sie zur Flasche griffen. Endlich kam Isabella an die Reihe und ich hörte erstaunt zu.
„Ich bin schuld am Tod eines kleinen Jungen. Das ist doch wohl genug, oder?“
Tränen stiegen ihr in die Augen. Auch wenn ihre Stimme hart war, ihre Augen sprachen eine andere Sprache. Keiner sagte ein Wort und kurz darauf war auch die Stunde vorbei. Heute wollte ich es riskieren – ich sprach sie an.
„Ich bin Charlotte.“
Ich streckte ihr die Hand hin, doch sie drehte sich einfach um.
„Weißt du , was ich getan habe?“
Ich wusste nicht, warum ich die Frage stellte, aber es könnte doch sein, dass sie etwas von meinem Fall gehört hatte.
„Woher sollte ich wissen , wer du bist? Ehrlich gesagt interessiert es mich auch nicht wirklich.“
Sie sprach mit mir, ich war erleichtert.
„Mein Sohn wurde entführt und ich habe seinen Entführer mit einem Messer angegriffen. Darum bin ich hier. Er ist jetzt wieder auf freiem Fuß.“
Sie drehte sich um und schaute mich genauer an. Auf einmal schien sie sich an mein Gesicht zu erinnern. Vielleicht hatte sie mich mal im Fernsehen gesehen.
„Und?“
Sie setzte sich wieder, ohne mich weiter zu beachten.
„Du könntest mir helfen. Helfen , meinen Sohn wieder zu finden.“
Sie fing an , zu lachen.
„Du bist in der Kla p se , meinst du, irgendwer glaubt dir?“
Das tat weh, aber sie hatte natürlich R echt. Wie sollte ich irgendwem beweisen, dass ich die Unschuldige war?
„Schon klar, ein toter Junge reicht dir wohl nicht?“
Ich drehte mich um, aber sie packte mich am Arm und riss mich zu Boden. Sofort stand unser Gruppenleiter Paul auf der Matte und brachte uns auseinander. „Sag das nie wieder zu mir,
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