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Zerrissenes Herz (German Edition)

Zerrissenes Herz (German Edition)

Titel: Zerrissenes Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Wiggs
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Ultraschall untersucht, ihn geröntgt und sein Gehirn gescannt.
    An diesem Tag hatte Julian ein paar neue Wörter gelernt – zum Beispiel Abschürfungen und Prellungen . Was nur hochgestochene Ausdrücke für Schrammen und blaue Flecken waren. Er hatte gelernt, dass es, obwohl ihm alles wehtat, noch viel schlimmer hätte kommen können. Viel, viel schlimmer. Doch egal wie sehr die Ärzte ihn untersuchten, sie fanden keine schweren Verletzungen.
    Während der Tests und Untersuchungen war sein Vater da gewesen, hatte Sorge, Liebe und Erleichterung ausgestrahlt. Es war die längste Zeitspanne, an die Julian sich erinnern konnte, in dersich sein Vater ausschließlich auf ihn konzentriert hatte. Nie wieder hatte er sich so geliebt und geborgen gefühlt.
    Und alles nur, weil er sich getraut hatte, auf einen hohen Baum zu klettern.
    „Du hast ganz schönes Glück gehabt, junger Mann“, hatte der Arzt gesagt und sein Kürzel auf ein Formular gesetzt.
    Eine Welle der Wärme hatte Julians Körper ergriffen. „Ja, Sir.“
    Nach diesem Vorfall war er in allen Situationen mutig gewesen.
    Er wusste, dass er mutig sein konnte, weil sein Dad ihn liebte. Er war kein Idiot. Er wusste, dass er nicht unbesiegbar war. Aber der Mut, der aus seinem Selbstbewusstsein erwuchs, brachte ihn an neue Orte. Er testete ständig die Grenzen aus, kletterte auf Bäume und Wassertürme, erklomm Wände, sprang von Brücken und Gerüsten, machte mit dem Fahrrad oder Skateboard haarsträubende Stunts. Doch niemand schimpfte ihn deswegen aus. Sein Vater glaubte im zutiefst wissenschaftlichen Sinn daran, dass jeder Aktion eine Reaktion folgte und dass das besonders für heranwachsende Jungen galt. Alles, was ein Kind tat, hatte Konsequenzen, sodass seiner Meinung nach jegliches Schimpfen unnötig war.
    Julian hatte es natürlich auf die harte Tour gelernt, indem er sich verärgerten Grundstücksbesitzern, der Highwaypatrol, Straßenpolizisten und Lehrern gegenübergesehen hatte. Sein Dad hatte ihn nie verurteilt, sondern ihn auf seine verwirrte, aber ehrliche Art einfach geliebt.
    Als Professor Gastineaux also nach einem Verkehrsunfall im Rollstuhl geendet war, war Julian in tiefste Verzweiflung gestürzt und hatte seinen Glauben verloren. Seinen Vater zu lieben reichte nicht, um ihn gesund zu machen. Julian war es plötzlich dumm vorgekommen, jemals etwas anderes geglaubt zu haben.
    „Quäl dich nicht, mein Junge“, hatte sein Dad inmitten all der hochtechnischen Apparate gesagt. „Ich bin jetzt in Sicherheit.“
    Für Julian war es vollkommen unverständlich gewesen, wie sich jemand, der nicht seinen kompletten Körper benutzen konnte, sicher fühlen sollte. Doch sein Dad hatte gesagt, er könneimmer noch denken, Theorien aufstellen und lehren, was genau das sei, was ihm wichtig sei.
    Er war in eine Rehaeinrichtung verlegt worden, um sich an sein neues Leben zu gewöhnen. Die Maßnahmen schlossen auch allen möglichen persönlichen Kram ein, wie eine Limo zu trinken oder auf die Toilette zu gehen. Während dieses Prozesses war der acht Jahre alte Julian ins Sommercamp geschickt worden, wo sein viel älterer Halbbruder Connor als Betreuer gearbeitet hatte.
    Camp Kioga hatte Julian einen kurzen Einblick in ein anderes Leben geschenkt. Er hatte vorher noch nie Menschen gesehen, die so lebten, deren Tage sich darum drehten, Aktivitäten zu organisieren, gemeinsam Lieder zu singen und an langen Tischen wie in einer großen Familie selbst gekochtes Essen zu servieren.
    Wie sich herausgestellt hatte, war der Aufenthalt in Camp Kioga das letzte Geschenk seines Vaters gewesen. Denn als Julian nach New Orleans zurückgekehrt war, hatte er erfahren, dass sein Vater nicht mehr lange zu leben hatte.
    „Nicht mehr lange“ war zu Jahren geworden, in denen Julian es sich zur Aufgabe gemacht hatte, von seinem Vater jedes Fitzelchen Wissen und Liebe in sich aufzusaugen, das er hatte bekommen können. Er hatte die schmerzhafte Intimität kennengelernt, die sich nicht vermeiden ließ, wenn man sich um jemanden in einem Rollstuhl kümmerte. Aber er hatte sich von den körperlichen Bedürfnissen seines Vaters nie abgestoßen gefühlt. So jung Julian auch gewesen war, irgendetwas in ihm hatte erkannt, dass man, wenn die Zeit kurz war, das Beste daraus machen musste.
    Seine Mutter kannte er nicht. Angeblich hatte sie nach seiner Geburt versucht, ihn zu behalten, aber nach sechs Monaten hatte es ihr gereicht, sie hatte ihn zu seinem Dad gebracht. Später hatte sie

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