Zerrissenes Herz (German Edition)
gewisser Hinsicht machte es die Sache schwerer, denn jetzt würde er ihr Grauen und ihren Schmerz verstehen.
„Ich muss dir etwas sagen. Es geht um Julian.“
„Daddyjunge ist auf einer Mission. Das ist ein Geheimnis.“
„Das stimmt“, erwiderte sie.
„Er kommt zurück, wenn die Blätter die Farbe ändern.“
„Ja.“ Sie suchte nach einer Erklärung, versuchte, mit Charlie auf eine Weise zu sprechen, die er verstehen konnte. „Das hat er versprochen. Aber … es ist etwas passiert, Charlie, mein Schatz. Sein Team war in einem Hubschrauber über dem Meer und ist abgestürzt.“ Es waren nur wenige Einzelheiten bekannt, aberdie waren grausam genug. Julian war mit einem angeschossenen Helikopter abgestürzt. Die Absturzstelle über dem Meer galt als unzugänglich, sodass man den Helikopter nicht bergen konnte. Man hatte im Radius von zehn Kilometern an der Stelle gesucht, an der der Helikopter das letzte Mal geortet worden war. Unterwasserroboter von einer französischen Ölfirma waren mit verschwommenen Fotos aufgetaucht, die vielleicht das Wrack des Hubschraubers in fünfzig Meter Tiefe zeigten.
Connor hatte versucht, weitere Details zu erfahren. Doch man hatte ihm gesagt, dass über verdeckte Ermittlungen keine Informationen herausgegeben wurden. Die Leichen würden nie nach Hause gebracht. Es gab nichts zu betrauern als die Erinnerungen.
„Er wird am Ende nun doch nicht zurückkommen“, erklärte sie Charlie und war erstaunt, dass sie die Worte überhaupt über die Lippen brachte.
„Wann ist am Ende?“
„Am Ende heißt, dass er nie wiederkommt. Weißt du, was nie bedeutet?“
„Wann ist nie?“
„Was ich dir sagen will, ist, dass wir Julian nicht wiedersehen werden. Deshalb bin ich so traurig.“
„Kein Daddyjunge mehr?“
„Richtig. Kein Daddyjunge mehr.“
Seine Miene verfinsterte sich. „Ich will ihn. Ich will ihn sehen.“
„Ach, Baby.“ Heiße Tränen stiegen in ihren Augen auf und rannen ihr übers Gesicht. „Das wollen wir alle, aber wir können es nicht.“
„Warum nicht?“
„Weil er tot ist.“ Es zerriss ihr das Herz, es laut auszusprechen.
„Wie ein toter Käfer?“ Erst heute Morgen hatte er ein paar vertrocknete Käfer auf seiner Fensterbank gefunden. Heute Morgen, als sie voller Vorfreude auf die Anprobe aufgewacht war, sich noch ein Stückchen mehr wie Julians Braut gefühlt hatte.
„Äh …“ Oh Gott. „Ja“, sagte sie leise. „So ähnlich.“
Er schenkte ihr ein kleines, schiefes Lächeln. „Das ist dumm.“
„Ist es das?“
„Er wollte mit mir vom Steg springen.“
„Du wirst mit jemand anderem springen müssen.“
„Ich will aber mit Daddyjunge springen.“
Ich auch, dachte sie. Ich auch.
Sie träumte jede Nacht von Julian, was dazu führte, dass sie nur noch schlafen wollte. Sie konnte es kaum erwarten, dass es abends Zeit wurde, ins Bett zu gehen, denn dann sah sie ihn wieder, in ihren Träumen. Ihr Arzt und die Selbsthilfegruppen für Armeeangehörige, ihre Freunde und Familie, alle waren für sie da. Aber das Einzige, was sie wollte – was sie brauchte –, war, sich in die Schattenwelt des Schlafs zurückzuziehen, wo Julian strahlend und lebendig war, lachte und sie berührte, ihr Geheimnisse ins Ohr flüsterte. Aufzuwachen war eine Qual, denn es zwang sie, der trostlosen Realität ins Auge zu sehen: einer Zukunft ohne Julian.
Sie schleppte sich durch den Tag, mühte sich um Charlies willen ab, ein Lächeln oder ein liebes Wort zu finden. Ohne ihren Sohn wäre sie in der Trauer ertrunken; er half ihr, wenigstens den Kopf über Wasser zu halten. Die Menschen sagten ihr, dass die Trauer vergehen würde, dass sie eines Tages wieder Freude am Leben finden würde. Doch das konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Sie hatte nicht genug Zeit mit Julian gehabt. Die Träume bedeuteten, dass sie mit ihrer Beziehung noch nicht fertig waren. Sie würden niemals fertig werden, denn Liebe starb nicht, oder doch? Sie konnte nicht ausgeschaltet werden wie eine Lampe.
Nur, ohne Julian wusste sie nicht, was sie mit dieser Liebe anstellen sollte, und so gefror sie zu einem riesigen Klumpen Schmerz, der nicht wieder tauen wollte.
Lieutenant Tanesha Sayers kam mit einem Brief von Julian zu Daisys Haus. Sayers erzählte von ihrer gemeinsamen Zeit mit ihm im ROTC. Daisy wurde von einer wilden Eifersucht gepackt.Lieutenant Sayers hatte mehr Zeit mit Julian verbracht als sie. Dennoch war sie dankbar für jedes bisschen, das sie über Julian
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