Zersetzt - Thriller (German Edition)
konnte nur einen weißen, dünnen Streifen in dem sonst gebräunten Teint erkennen.
»Durch die erneute OP konnten wir die Problematik nicht komplett beheben, nur lindern. Wir werden alle Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, in Betracht ziehen und ausschöpfen, damit die Genesung der Patienten positiv verlaufen wird.«
»Was heißt das genau? Wird er nun wieder ganz gesund oder weiterhin unter Schmerzen leiden?«
»Die Patienten werden wahrscheinlich ihr Leben lang damit zu kämpfen haben und bleibende Schäden in Kauf nehmen müssen. Wir tun aber unser Bestes, um die Schmerzen zu lindern. Wenn Ihr Vater sich in einigen Tagen von der Operation erholt hat, werden wir ihn in eine Rehaklinik überweisen.« Julia stand auf und streifte dabei den Arm von Dr. Bach.
»Wenn wir uns unter anderen Umständen… also, ich weiß das ist jetzt ein sehr unpassender Zeitpunkt. Aber ich würde Sie gern mal zum Essen einladen.«
Julia sah ihn kurz an, zuckte mit den Schultern, verabschiedete sich und eilte dann ins Krankenzimmer ihres Vaters.
***
»Prothes wird sich vor Regressansprüchen nicht m-m-mehr retten können. Deinem Vater geht es den Umständen entsprechend gut und unsere weiteren Recherchen haben auch noch einen Tag Zeit. Heute s-s-sollst du mal auf andere Gedanken kommen und gehst mit mir aus«, klang es noch in Julias Ohren, als sie sich nach einem feucht-fröhlichen Kneipenabend mit Felix auf den Heimweg machte. Der Golf ließ sich diesmal nicht dazu überreden zu starten, und Julia war auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. In Anbetracht ihres derzeitigen Promillepegels war dies bestimmt die beste Alternative. Das nette Beisammensein hatte erst gegen fünf Uhr geendet. Um diese Uhrzeit waren kaum Mitfahrende in der S-Bahn. Julia lehnte ihren Kopf müde ans Fenster und sah die Lichter der Metropole an sich vorbeiziehen. Irgendwann, wenn sie mehr Zeit hatte, würde sie bestimmt diese tolle Stadt kennen lernen.
An der vorletzten Haltestelle war die Fahrt für sie zu Ende. Da es für einen Morgen im August schon sehr kühl geworden war, knöpfte sie die Jacke zu und stieg aus. Der Mond verabschiedete sich an diesem Morgen schneller, als die Sonne den neuen Tag begrüßen konnte. Am Straßenrand standen Laternen, deren Licht den Weg für einige Meter erhellten. Vereinzelte Blätter auf dem Weg kündigen durch ihre Färbung bereits den kommenden Herbst an. Julia musste einige hundert Meter zu Fuß bis zu ihrer Wohnung zurücklegen, sie beschloss allerdings, dass ihr die frische Luft wieder einen klareren Kopf bescheren würde, und schlenderte ihre Handtasche schwenkend den Fußgängerweg entlang.
Sie hörte Schritte hinter sich und zuckte zusammen, doch es konnte durchaus sein, dass ein Mitfahrender an der gleichen Haltestelle ausgestiegen war wie sie, sie hatte nicht darauf geachtet. In einem Gebüsch vernahm sie ein Rascheln und erschrak, doch auch hierfür gab es eine rationale Erklärung, denn um diese Uhrzeit waren einige kleine Jäger unterwegs, um sich ihr Frühstück für den Tag zu fangen. Früher war sie nicht so schreckhaft gewesen oder hatte auf jedes Geräusch gehorcht. Sie hoffte, dass sich dies durch ihre Psychotherapie irgendwann legen würde.
Die Schritte kamen näher. Jetzt wollte sie es genauer wissen, blieb stehen und drehte sich um, doch die Bäume am Straßenrand verdeckten einen Teil des Weges. Es war still, kein Geräusch mehr zu hören, nichts Ungewöhnliches zu entdecken. Nur noch ein paar Meter, bis Julia ihre Wohnung erreicht hatte. Sie kramte in ihrer Handtasche, nahm die Zigarettenschachtel heraus und zündete sich eine an.
Schritte. Deutlicher als zuvor war das Klacken von Schuhsohlen auf dem Asphalt zu vernehmen. Julia beschleunigte und setzte sich in Trab. Hektisch blickte sie über ihre Schulter. Entsetzt stellte sie fest, dass ein bäriger, schwarz gekleideter Mann, der seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte, zu einem Sprint ansetzte. Kurz vor der Haustür packte er Julia am Kragen und griff nach ihrer Handtasche. Julia schrie, so laut sie konnte, und trat dem Mann gegen das Schienbein. Mit voller Wucht schlug er ihr die ausgestreckten Faust ins Gesicht. Der Schlag hatte so viel Kraft, dass sie wegkippte und mit dem Hinterkopf an der Hauswand aufschlug. Ehe sie einen klaren Gedanken fassen konnte, wurde ihr schwarz vor Augen, und sie brach zusammen.
Eine Lampe. Ein bekannter Geruch. Vor den grellen Lichtschein schob sich ein
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