Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
die Hand hin.
In dieser Nacht ist es still im Haus. Dad ist sogar noch zum Essen geblieben, und als Amy und ich zu Bett gegangen sind, hat er sich dann in der Küche mit Mum gestritten. Sie haben leise gesprochen, aber der Ton war unmissverständlich. Danach hat das Telefon geklingelt und er ist gegangen.
Etwas in mir drängt mich geradewegs zum Zeichnen. Das Krankenhaus, die Türme, die neuen Sicherheitsmaßnahmen an den Toren, all das entsteht vor mir auf dem Papier. Ich frage mich, was die verkabelten Computer und Telefone zu bedeuten haben. Mums Handy hatte dort zum ersten Mal keinen Empfang.
Auch mein Levo hat seine eigenen Geheimnisse. Hätte das Kom dort funktioniert, wenn ich es versucht hätte? Ich drehe an meinem Levo, doch ich spüre gar nichts. Seitdem meine Erinnerungen zurückgekehrt sind, ist es wie tot.
Doch bislang sind nur Teile davon wieder da. Lucys Erinnerungen fehlen weiterhin, obwohl ich mich an das Geburtstagskätzchen entsinne. Das könnte ich nicht, wenn Lucy wirklich komplett verschwunden wäre. Ich starre auf meine linke Hand, bewege die Finger, die so gebrochen waren wie ich selbst. Eine Hand ist die eine Sache; was war noch nötig, um einen Menschen in zwei Teile aufzuspalten? Ich zucke zusammen, als ich Ziegel vor mir sehe, und balle die Hand zur Faust.
Wenn ich Lucy nicht auf der MIA-Seite entdeckt hätte, wären ihre Erinnerungen vielleicht für immer verborgen geblieben. Nico muss noch mehr wissen, aber irgendetwas sagt mir, frag nicht danach . Er hat so komisch reagiert, als ich ihn auf Lucy angesprochen habe – eine Mischung aus Überraschung, dass ich wusste, wer sie war, und noch etwas anderem, das ich nicht einordnen konnte.
Er meinte, er habe alles nur getan, um mich zu beschützen, weil ich etwas Besonderes bin. Er musste brutal sein, um mich zu retten. Aber warum bin ich besonders? Warum hat er mich in diesem neuen Leben aufgespürt? Mir fällt nichts ein, was ich für Free UK tun könnte, was diesen Aufwand rechtfertigen würde. Es muss etwas anderes sein. Ich muss es wissen.
Einen Moment zögere ich. Warum nicht? Schließlich schlüpfe ich aus dem Bett und verriegele meine Schlafzimmertür. Dann drücke ich auf den Knopf unter meinem Levo. Sekunden vergehen.
Ein leiser Klick, dann: »Ja?«
Als er mir sagt, wo wir uns morgen treffen werden, lässt mich der Klang seiner Stimme erschaudern. Schon jetzt bin ich aufgeregt. Er ist mir nicht mehr böse, weil ich ihm Tori aufgehalst habe. Ich bin erleichtert, wie glücklich und entspannt er klingt. Dann höre ich Tori im Hintergrund lachen.
»Bist du dir sicher, dass es dir nichts ausmacht?« Mum steht unschlüssig mit dem Schirm in der Hand an der Tür. Es schüttet wie aus Kübeln.
»Sicher. Geh nur.«
So bald wird Mum nicht zurück sein, denn sie ist bei Tante Stacey zu einem Sonntagsbrunch eingeladen und wird gleich von einer Freundin abgeholt. Amy verbringt den Tag mit Jazz’ Familie. Ich habe sturmfrei, also muss ich mich nicht unbemerkt davonstehlen.
Kurz überlege ich, ob ich Nico anrufen soll, damit er mich näher beim Haus abholt, entscheide mich dann aber doch dagegen. Es ist ja nur ein bisschen Regen, das wird ihn wohl kaum interessieren.
Als ich nach oben gehe, um einen Regenmantel zu holen, klopft es unten an der Tür. Ich stelle mich seitlich ans Fenster, damit ich nicht gesehen werden kann, und schaue nach unten. Gerade so kann ich Cam unter einem Regenschirm vor der Tür erkennen.
Was soll ich tun? Manchmal wird man ihn nur schwer wieder los. Das Haus wirkt dunkel und still, soll er doch denken, dass ich nicht hier bin. Ich warte ab; irgendwann gibt er auf und geht wieder zurück über die Straße nach Hause.
Ich falte die Zeichnungen mit den Krankenhausplänen zusammen, die ich letzte Nacht für Nico gemalt habe, und wickle sie in Plastik ein, um sie vor dem Regen zu schützen. Dann stecke ich sie in eine Innentasche meines Mantels.
Nervös kaue ich auf dem Stift herum, bevor ich für Mum oder Amy – je nachdem, wer früher nach Hause kommt – eine Nachricht hinterlasse, damit sie keine Panik bekommen oder hinterher einen Aufstand machen. »Bin spazieren gegangen.«
Am besten verschwinde ich durch die Hintertür, falls Cam unser Haus beobachtet und später wissen will, warum ich nicht aufgemacht habe. Doch der Hinterausgang ist nicht besonders attraktiv bei diesem Wetter. Seufzend stapfe ich durch den schlammigen Garten, drücke mich dann durch die Hecke und kämpfe mich durch Äste bis zu
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