Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
jetzt wieder an ein paar Dinge.«
Rasch wende ich mich ab und nehme die Tassen aus dem Schrank, damit Amy mir ja nichts anmerkt. Er erinnert sich? Oh mein Gott. Das Zimmer scheint sich zu verdunkeln und vor meinen Augen zu drehen, als würde es sich in eine schwarze Höhle verwandeln. Doch ich reiße mich zusammen.
Erzähl es Nico.
Nico wird ausflippen, weil er jetzt zum ersten Mal davon hört. Ich kann es ihm nicht mehr sagen. Es ist zu spät.
»Aber durch die Kopfverletzung leidet er unter Amnesie«, sagt Amy.
»Was ist das?«
»Er kann sich an nichts erinnern, außer, warum er an diesem Tag im Wald war.«
»Oh.«
»Laut dem Arzt fällt ihm vielleicht irgendwann wieder alles ein. Ich habe gehört, dass die Lorder wütend auf ihn waren, weil er keine Auskunft geben konnte.« Sie schaudert. »Das sollte Grund genug sein, sich schnell zu erinnern.«
Das Telefon klingelt, und während ich den Tee eingieße, nimmt Amy ab. Ich gehe nach oben, sammle sorgfältig meine Bilder ein und verstecke sie im Ordner mit den anderen Entwürfen. Amy hätte Schwester Sally beinahe erkannt. Ich hätte nicht lügen sollen. Wie wird sie reagieren, wenn ihr wieder einfällt, dass sie im Krankenhaus arbeitet, und sie sich alles zusammenreimen kann?
Hat Amy eigentlich gesagt, dass sie niemandem von den Bildern erzählen wird?
Ich denke nach. Nicht unbedingt, aber sie hat mich dazu gebracht, die Zeichnung vom Krankenhaus zu zerstören. Warum sollte sie das tun, wenn es kein Geheimnis wäre?
Ich zucke unbehaglich mit den Schultern, aber der Augenblick, um ihr dieses Versprechen abzunehmen, ist verstrichen. Wenn ich noch mal davon anfange, wird sie sich fragen, warum. Schweigen ist besser.
Nachts schleiche ich mich nach unten ins Büro. Ich schließe die Tür und schalte die Schreibtischlampe ein.
Mums Hobby ist Lokalgeschichte. Die Regale hier sind voller Bücher über die Dörfer und Städte in der Gegend, aktuell und historisch. Außerdem gibt es Karten – sowohl normale Straßenkarten als auch Generalstabskarten, die jeden Weg und Kanal abbilden.
Ich kann Aidens Rückmeldung kaum abwarten. Ist es wirklich Ben? Er muss es sein. Eine andere Möglichkeit kann ich nicht akzeptieren. Ich schwanke zwischen erwartungsvoller Freude und der Angst, dass sich alles nur als Hirngespinst entpuppen könnte. Dass jede Hoffnung immer nur in einer Enttäuschung mündet.
Ein Sportplatz in 30 Kilometer Entfernung … Ich stelle mir einen Kreis vor und suche sorgfältig jedes Dorf und jede Stadt in dieser Entfernung danach ab. Dann schaue ich nach den entsprechenden Fußwegen und Pfaden, um von hier aus dorthin zu gelangen.
Ich werde dich finden, Ben.
Der nächste Tag ist klar und kalt. Ein paar Wolken sind am Himmel, doch es sieht nicht nach Regen aus.
Ich setze den Fahrradhelm auf. »Bist du sicher, dass es dir nichts ausmacht, heute Rad fahren zu gehen?«
»Dein Wunsch sei mir Befehl«, sagt Cam und verneigt sich. »Wo willst du hin?«
»Folge mir!«
Wir fahren los. Wegen des Feiertags sind die Straßen menschenleer, wenn man den Gedenktag als Feiertag bezeichnen kann. Ich habe mir die Straßen und Wege eingeprägt, und wir sollten es schaffen, mindestens drei mögliche Sportanlagen abzufahren. Doch selbst wenn ich das richtige Dorf mit der richtigen Laufbahn finde, werde ich keine Gewissheit haben, es sei denn, Ben läuft gerade in diesem Moment dort. Ich verscheuche die Zweifel, zumindest unternehme ich etwas.
Amy hat sich so gefreut, als ich ihr von der Radtour mit Cam erzählt habe. Mum ist mit Tante Sally unterwegs und denkt, wir würden jeweils aufeinander achtgeben, und ich frage mich, was Amy und Jazz vorhaben. Als wir aufgebrochen sind, hat Amy uns nur vielsagend angegrinst. Sie unterstellt uns Dinge, die nicht wahr sind.
Innerlich jubiliere ich, weil Ben gesehen worden ist; aus keinem anderen Grund. Cam und ich gehen einfach nur Rad fahren, und er hat mir versichert, dass er die Sache mit Ben versteht. Wir sind Freunde.
An einer kleinen Brücke biege ich auf einen Kanalweg ab. Weil ich mir nicht sicher bin, ob Cam mir folgen kann, drehe ich mich kurz um. Dabei bemerke ich, dass sich hinter ihm auf der engen Landstraße ein Wagen mit hoher Geschwindigkeit nähert. Die Sonne in meinen Augen erschwert mir die Sicht und ich blinzle. Ein schwarzer Van?
Wir fahren den Kanalweg hinab und ich schüttle das komische Gefühl ab. Wenn das überhaupt die Lorder sind, dann sind sie wirklich überall. Es kann nur ein Zufall
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