Zersplittertes Herz
vorsichtig antasten.«
Er gluckste, sein Gesicht nur Zentimeter von meinem entfernt, sein Lächeln sandte die Hitze spiralförmig weiter nach unten.
Wenn er den Anfang gemacht hätte, wäre ich vielleicht abgetörnt gewesen. Wenn er die Entfernung zwischen unseren Lippen überbrückt hätte, wäre das nächste Jahr anders verlaufen. Vielleicht wäre ich auf mehr Partys gegangen. Vielleicht wäre ich Lizzy öfter zu
Brady’s
gefolgt und hätte eine Affäre mit einem harmlosen Städter gehabt – möglicherweise einer der Typen, mit denen ich zur Schule ging, oder einem kürzlich geschiedenen Physikprofessor der New Hope Highschool. Vielleicht hätte ich William Bailey die Chance gegeben, die er verdiente, anstatt ihn in eine Hochzeit zu drängen, für die keiner von uns bereit war. Aber Ethan hatte sich nicht nach vorne zu mir bewegt.
Ich erkannte die Hitze in seinen Augen, sie machte mich scharf, und in diesem Moment habe ich mich mächtig gefühlt. Zugleich war ich nicht so närrisch, zu denken, er würde irgendwann seine Frau für eine seiner Studentinnen verlassen. Das würde erst später kommen – nach Stunden des Liebemachens und hunderten von Gemälden, die er niemandem zeigte.
Seine geheime Sucht, nannte er mich.
In diesem Moment ging es um nichts anderes als heiße, sinnliche, Blut pumpende, weibliche Macht. Ich hob meinen Kopf gerade genug, um meine Lippen seine streifen zu lassen. Ich küsste ihn, diesen Mann, von dem ich eine so hohe Meinung hatte. Ich war bereit, über den Hochzeitsring an seinem Finger hinwegzusehen.
Ich nehme einen tiefen Atemzug und atme bewusst aus, als würde ich damit die Erinnerung in den Wind blasen. Reue dreht mich ein paar stotternde Herzschläge in ihren Klauen hin und her.
Ethan kommt wieder aus der Toilette, und ich erstarre. Als unsere Blicke sich treffen, ist die Wärme, die ich einst für ihn gefühlt habe, verschwunden. Diese weichen, grauen Augen scheinen mich darum anzuflehen, es abzustreiten, sein niemals wankendes Selbstwertgefühl zu bestätigen.
»Was willst du von mir, Ethan?«
»Ehrlich?«
Ich atme tief aus. »Ich habe gefragt oder nicht?«
»Lass mich dich zum Essen ausführen. Da ist so viel, worüber wir nie gesprochen haben.« Mit seinem Blick macht er wieder diese wandernde, erobernde Sache von vorhin.
Ich will ihm sagen, dass er damit aufhören soll, aber das würde bedeuten, zugeben zu müssen, dass es mir auffällt.
Meine Augen beginnen zu tränen, als eine weitere Niesattacke sich bemerkbar macht. »Lieber nicht«, sage ich, aber es klingt wie
Iebe nht
.
Ethan macht einen Schritt nach vorne und streckt die Hand nach mir aus, um mein Gesicht zu berühren. »Nicht weinen.«
Der Druck in meinem Kopf nimmt zu. Ich erfasse sein Handgelenk und stoße ihn von mir, als William Bailey um die Ecke kommt.
Will mustert mein Gesicht, meine Tränen, Ethans Hand. »Was geht hier vor?«
Ethan lässt seine Hand fallen, als würde er sich damit plötzlich an meinem Gesicht verbrennen.
»Maggie, ich möchte nicht, dass du dich mit ihm abgibst«, sagt Will, während er Ethan grimmig anblickt. »Er macht nur Ärger.«
Ethan nagelt mich mit dem intensiven Blick fest, der mir früher so viel Ärger eingebrockt hat. Einen Moment später trifft Wills Blick meinen. Wenn Ethans Augen sagen
»Ich will dich«
, dann sagen Wills:
»Ich brauche dich. Ohne dich bin ich unvollständig.«
10. Kapitel
William
Maggie kommt mit kurzen Shorts, die mehr von ihrem Oberschenkel zeigen als sie verbergen, und einem winzigen Tanktop in die Galerie, und ich lasse bei ihrem Anblick beinahe ein Stück buntes Glas von meiner Leiter fallen.
»Ich bin bereit für die Arbeit«, verkündet sie und breitet die Arme aus. »Benutz mich.«
Sie hier arbeiten zu lassen, war eine ganz schlechte Idee.
Schuldbewusst blicke ich über meine Schulter in Richtung des Büros, doch Krystal ist nicht hier. Sie ist rüber zum Campus gegangen, um mit jemandem über ein weiteres Gemälde zu sprechen, von dem sie glaubt, dass wir es bei der Eröffnung brauchen.
»Ich bin in einer Minute fertig«, rufe ich von der Leiter nach unten.
»Stört es dich, wenn ich einen Blick auf die Stücke werfe, die ihr hier habt?«
»Nur zu.«
Vorsichtig hänge ich das Stück buntes Glas an die Drahtschnur und tue so, als würde mich ihre Anwesenheit nicht völlig aus dem Konzept bringen. Fenster, die vom Boden bis an die Decke reichen und den Fluss überblicken, fluten die Galerie mit Licht. Das bunte Glas wird
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