Zerteufelter Vers (German Edition)
besaß. Und das nicht gerade zimperlich!
»Macht es dir Spaß, mich zu verfolgen?!« Gloria versuchte, möglichst selbstsicher zu klingen. In Wahrheit aber konnte sie ihre Angst nicht abstreifen. Er schmunzelte. »Ja…« Seine Mimik wirkte herausfordernd. Als sein Grinsen erneut zu einer eiskalten Maske verebbte, schlug Gloria das Herz bis zum Hals. Er wendete seinen Blick von ihr ab und schaute auf den Rhein. Gloria wusste sein Schweigen nicht einzuordnen; ganz im Gegenteil: Es machte sie noch nervöser.
»Wie heißt du?« Jetzt drehte er sich wieder zu ihr. So wie er fragte, fühlte es sich an, als würde er über ihr stehen, sie abschätzen; als könnte sie ihm nicht das Wasser reichen und in der Tat – das konnte sie nicht. »Gloria.« Er betrachtete sie süffisant, stieß sich von der Reling ab und nahm den Schwung mit – im Bogen um sie herum. Glorias Bauchgefühl verhieß nichts Gutes. Einerseits wirkte er lässig – andererseits bedrohlich. »Mmmh.« Er musterte sie. »Hübsche Schramme.« Dabei deutete er auf ihre rechte Augenbraue, die eine schmale Linie geronnenen Blutes umzog und lila leuchtete. Glorias Augen wurden schmal. Was für ein Arschloch! Er musterte sie weiter. Das Gefühl, ihm ausgeliefert zu sein – zumindest solange sie in dieser Stadt blieb – machte sich klammheimlich breit. Woher nahm der Kerl diese Macht?
»Was willst du?« Es platze regelrecht aus ihr heraus. Er schätzte sie ab, ließ sich Zeit. »Ich frag´ mich, was du so für eine bist.« Er drehte sich wieder der Rheinseite zu, was Gloria ihm nachtat, um ihn besser im Auge behalten zu können. Ihre Finger umkrallten die Eisenstange vor ihr. »Was soll ich schon für eine sein!« »Mmmh – du hattest ziemlich viel Geld bei dir. Gut für Kitty, schlecht für dich.« »Kitty? So heißt die?« »Jip«, er sah sie herausfordernd an. »Ihr habt das Geld – also lass´ mich in Ruhe!« Glorias Worte kamen knapp und monoton über ihre Lippen. Abwechselnd wog er kurz den Kopf nach links und rechts, ehe ein Lächeln auf sein Gesicht trat…
Er schaute sie von der Seite an, doch Gloria starrte stur auf die zwei Schiffe, die hintereinander gedrängt den Rhein entlangfuhren. Aus dem Augenwinkel nahm sie plötzlich eine Bewegung wahr und ehe sie sich versah, umfasste rechts von ihr eine Hand die Eisenstange, während seine linke neben ihr blieb. Zwar achtete er darauf, dass sein Körper sie nicht berührte, doch er stand nun direkt hinter ihr. Sie spürte seine Wärme und konnte ihn sogar riechen, als er viel zu nah mit seinem Gesicht bei ihrem Nacken und ihrem Ohr war. »Angst?«
Das war zu viel! Bis hierhin und nicht weiter. Was hatte sie noch zu verlieren? Ruckartig stieß Gloria ihren Ellenbogen nach hinten und traf ihn in die Seite. Ihre Stimme überschlug sich regelrecht, so laut schmetterte sie ihm diese entgegen: »Spinnst du?!« Er wirkte augenblicklich überrascht, aber schon eine winzige Sekunde später verschloss sich seine Mimik erneut zu einer eiskalten Maske.
»Temperament…!« Es klang wie eine amüsierte Feststellung. Gloria bekam Panik. »Was willst du?!« »Das hab´ ich dir doch schon gesagt.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich mit dem Rücken ans Geländer. »Wissen, wer du bist. Woher kommst du?« »Aus Weimar.« »Und was treibt dich hierher?« Gloria schaute sich um. »Was soll das – wird das ein Verhör?« Er betrachtete sie schweigend. »Lass mich in Ruhe!« Gloria griff nach ihrem Rucksack und ging. Schon nach ein paar Metern wurde sie schneller und schließlich rannte Gloria die Promenade entlang. Dieses Mal war er ihr anscheinend nicht gefolgt – zum Glück. Gloria setzte sich in einen Park und holte das Buch hervor. Langsam wich das Adrenalin aus ihrem Körper.
Sie versuchte, nicht länger daran zu denken, dass der Unbekannte ihr womöglich doch gefolgt sein könnte und widmete sich dem rätselhaften Buch. Jedes Mal, wenn sie über den Einband strich, verspürte sie das Gefühl, als strahle es eine eigene Aura aus. Sie blätterte auf die vierte Seite; und da war etwas…! Glorias Herz klopfte. Sie begann zu lesen…
Willst du´s riskieren?
Wahrheit ist Leben, Leben ist Glück,
des Menschen Bestreben,
voll Kummer bestückt.
Gepaart mit der Zukunft und der Frage danach,
entgegen Vernunft
eine Stimme leis sprach.
Ins Herz man sich stieß,
wo doch so schön sein kann das Leben.
Willst Du´s riskieren, so lies, so wird Dir gegeben.
Gloria starrte auf das Gedicht. Sie
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