Zerteufelter Vers (German Edition)
ja?« Gloria stimmte in Kirts Nicken ein und erwartete nun das Urteil, das er über sie fällen würde. Ihr wurde klar, dass ihm dieser Vorschlag nicht gefiel. Noch dazu hasste er es, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Andererseits hatte dieses Jahr seine Schatten vorausgeworfen: Erst mit dem Tod ihrer Mum und dann mit Glorias Verschwinden. Alte Vorsätze waren über den Haufen geworfen und auch Herr Truhst schien sich in gewisser Weise verändert zu haben. Vielleicht machten gerade diese Umstände es viel leichter, als es normalerweise der Fall gewesen wäre. Denn eines wusste Gloria: Wäre sie ihm mit so einer Idee vor rund einem Jahr gekommen, hätte er sie mit Pauken und Trompeten eines Besseren belehrt!
»Ich möchte, dass du einmal im Monat nach Hause kommst und dich meldest. Außerdem finde ich es nicht gut, dass du mir nicht schon viel früher davon erzählt hast. Ich dachte, wir können über alles reden!« Gloria sah verstohlen zu Boden, ehe sie ihren Vater zaghaft anlächelte. Das Eis schien gebrochen zu sein – so viel war klar. Sie kannte ihren Vater gut genug, um vorhersagen zu können, dass das letzte Wort über diese Angelegenheit noch nicht gesprochen war, aber der Big Drop schien gelutscht!
21 Wut
Es war die letzte Nacht in Weimar. Gloria und ihr Vater hatten noch stundenlang geredet – vor allem in Kirts Abwesenheit. Doch nun lag Kirt neben ihr; halb zwölf nachts. Gloria schloss die Augen und es dauerte nicht lange, bis sie eingeschlafen war. Kirt hingegen lag wach. Er fühlte sich zerschlagen und hilflos. Das war neu, denn noch nie hatte er sich Sorgen um das Leben eines anderen Menschen machen müssen. Wut und Hass stauten sich in ihm auf: Wut über sich selbst – Hass gegenüber den Welten, von denen er mehr verstand, als er vor Gloria zugab. Seit Kirt erfahren hatte, was das Buch über ihr Ende schrieb, fühlte er eine nie zuvor dagewesene Panik.
Kirt riss die Bettdecke von sich und stand auf. Innerlich platze er fast. Er machte Anstalten, zu verschwinden, doch es gelang ihm nicht. Wieder und wieder schloss er die Augen, aber er war zu konfus und aufgewühlt, um sich richtig zu konzentrieren. Erst als er sich zusammennahm und all sein Denken darauf komprimierte, die menschliche Welt zu durchkreuzen, gelang es ihm endlich! Und ohne einen einzigen Laut von sich zu geben, verschwand er ins Nichts. Wo eben noch Kirt gestanden hatte, bildete sich eine Leere, als wäre er nie dagewesen.
Blanker Hass hämmerte dunkel durch die Schlieren seines Abbilds: Kirt schlug mit einer gewaltigen Wucht gegen eine Reihe von Steinen, die in alle Richtungen zersprangen. – Eingetaucht in eine Welt, in der es keine Gloria gab! Er war so wütend – man hätte Angst vor ihm bekommen können. Jegliche Seele, die sich in der Nähe befand, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand. Verzweiflung und Zorn traten in Kirts Gesicht, als er durch die Nacht verschwand. Für ihn sagte der Inhalt des Buches mehr aus, als Gloria bislang verstand; für Kirt Grund genug, zwischenirdische Gesetze nicht länger zu achten…!
Er schritt über Wälder und dunkle Seen. Es war so düster, dass sein Schein die einzig auszumachende Lichtquelle darstellte. Würden seine Gedanken eine Melodie ergeben, so bestünde diese aus hämmernder Geschwindigkeit monotoner Bässe und der hetzenden Anklage einer blindwütigen Stimme. Er durchschlug Bäume und Felder. Für die menschliche Welt hätte es so aussehen müssen, als würde ein Sturm durch die Nacht ziehen. Zwar glitten Gegenstände durch ihn hindurch, doch sie wurden von seiner Geschwindigkeit in Stücke gerissen. Kirt hinterließ an allem seine Spuren, das ihm in die Quere kam. Innerhalb weniger Minuten erreichte er das Meer und tauchte tief unter. Er wog die Wellen gegeneinander auf und schlug sie gegen Riffe. Es dauerte Stunden, bis Kirt sich niedergeschlagen an einem einsamen Fleck inmitten eines Gebirges niederließ.
Kirt nahm für einen kurzen Moment seine menschliche Gestalt an und setzte sich auf einen Felsvorsprung. – Ein Ort, den sicher noch nie ein Mensch zuvor erblickte. Zu unwegsam, zu hoch, zu verlassen – erschien die kilometerweite Grenzenlosigkeit inmitten dunkler Stille. Er versuchte nachzudenken, doch alles drehte sich im Kreis. All sein Wissen half nicht – denn er wusste, dass die Gesetze der Natur endgültig waren! Kirt fragte sich, worin überhaupt noch der Sinn seiner Existenz bestand. Menschen konnten sterben, Wasser- und Luftwesen,
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