Zerteufelter Vers (German Edition)
dafür – auch wenn ich dir das nie gesagt habe. Aber jetzt gibt es keine Zukunft mehr. Jetzt ist alles vorbei.«
Gloria kamen die Tränen. Der Klang seiner Worte wirkte noch einmal härter als alles andere. Gloria spürte Kirts Trauer. Sie lehnte sich an seinen starken Oberkörper und er schloss Gloria in seine Arme. Doch in diesem Moment spürte sie seine Verzweiflung mehr, als einst die Stärke. Er drückte sie so fest an sich, wie es nur ging, doch das änderte nichts an dem dumpfen, unersättlichen Pochen in seinem Herz. Kirt wusste genau: Das Buch log nicht! Die Welten würden schlucken, wonach sie griffen. Er selbst hatte sich nie damit auseinandersetzen müssen. Doch wenn Gloria von dieser Welt ging, so nahm man ihm den einzigen Grund, zu bestehen. Und was hieß das – in seiner Lage?
Niemand konnte verstehen, was ihn kennzeichnete und warum er zwischen den Grenzen Bestand hatte. Er gehörte weder zu einer der vier Welten, noch zu jenen zwischenweltlichen Wesen… Es gab noch nicht einmal etwas seinesgleichen. – Verraten, zerrissen und verstohlen.
Gloria wandte sich aus seinen Armen und sah ihn an: »Was machen wir denn jetzt?« Kirt blickte ihr in die Augen, umschloss sie schließlich von neuem und drückte Gloria an sich. So standen sie da – inmitten ihres Zimmers. In nicht einmal mehr vier Monaten sollte sie sterben! Das Traurige daran: Gloria würde Kirt vergessen und er wiederum besaß nicht einmal die Illusion der meisten Menschen… Er durfte nicht darauf hoffen, dass sie sich irgendwann wiedersahen. Kirt kannte die Gesetze besser als sie und wenn es eine Möglichkeit gegeben hätte, Gloria vor diesen Regeln zu bewahren, hätte er es schon längst gesagt. Stattdessen verlor Kirt die Fassung.
Immer wieder drückte er sie an sich. Sie hielten sich fest und ließen nicht mehr los. – Aussichtslos… Früher hätte Kirt über solche Menschen gelächelt; hätte den Wert, an dem sie festhielten, nicht begriffen. Jetzt hingegen gehörte er selbst zu ihnen. Er war ein Teil von ihnen und ihren Ängsten geworden; mächtig und doch machtlos! Gloria wirbelten unendlich viele Gedanken durch den Kopf. Und alle mündeten in ein und dasselbe Resultat. Doch plötzlich stutze sie und hielt inne, was auch Kirt nicht verborgen blieb. »Was ist?« Er schaute Gloria fragend an; sie antwortete nicht. Stattdessen dachte sie weiter angestrengt nach. Der Grund war das letzte Gedicht des Buches…
Gloria wandte sich aus seinen Armen und öffnete die Schublade, in der das Buch lag. Schnell schlug sie es auf und Kirt sah ihr dabei zu, wie sie die einzelnen Seiten umblätterte; da stand es – das Gedicht, das das Buch ihr vorhin noch geschrieben hatte: ‹Fröhlich sein, das Leben sehen, Glück erkennen und verstehen, Ehrlichkeit nur Früchte trägt, wenn man sie gemeinsam säht.›
Gloria las die Verse mehrfach durch; wieder und wieder… als ihr klar wurde, dass nicht Kirt mit den letzten zwei Zeilen gemeint war, sondern sie selbst! Gloria nahm bislang an, dass Kirt von ihren Gedanken ahnte, doch dem war nicht so und das Buch hatte es gewusst – noch bevor sie selbst es bemerkte. Was war dieses Buch? Warum wusste es mehr von einem, ehe man es selbst auch nur ahnte? Und wie konnte es immer einen Schritt voraus sein? Kirts Geheimnis hingegen schien offensichtlich gar nicht gemeint zu sein. Wahrscheinlich war es tatsächlich besser, wenn Gloria nicht mehr nachbohrte, wie er es ihr vorwarf und somit ihr Versprechen als solches ruhen ließ.
In dieser Nacht konnte weder Gloria, noch Kirt schlafen. Nachdem sie mehrere Stunden miteinander geredet hatten, beschlossen sie zu dösen, aber noch nicht einmal das funktionierte. Stattdessen wirbelten die diffusesten Gedanken durch ihre Köpfe. Gloria durchschlich das Gefühl, dass sie selbst besser mit dem Wissen um ihren Tod zurechtkam als er. Und trotzdem schien die Dunkelheit, die sie umhüllte, wie ein Vorbote von dem zu sein, was unwiderruflich kam.
Diese Nacht änderte alles: Ihre Beziehung erschien nicht mehr so leicht wie zuvor. Die Art und Weise, wie sie sich ansahen, war geprägt von Traurigkeit und Kirt selbst wirkte nicht mehr so sorglos wie einst.
Noch einmal in die Welt der Seelen zurückzukehren, bildete die einzige Chance, mehr übereinander zu erfahren. Gloria schlug diese Möglichkeit vor, doch Kirt schmetterte ihre Idee sofort ab. In aller Herrgottsfrühe standen sie auf. Kirt wirkte in sich gekehrt. Wie es in ihm aussah, konnte sie nicht sagen. Aber seine
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