Zerteufelter Vers (German Edition)
Gloria war hingegen der Typ, der sich später eine Familie wünschte – einen Partner, mit dem sie für immer zusammen sein würde. Was hatte sie sich eigentlich gedacht?
Der Tag ging zu Ende, der nächste auch und Glorias Gedanken drehten sich fortwährend um ihn. Es war viel passiert, seit sie nach Düsseldorf kam. Aber mit Kirts Verschwinden verlief sich auch jegliche Motivation im Sande, hier zu bleiben. Vielleicht war es an der Zeit, alle sieben Sachen zusammenzupacken und zum Bahnhof zu laufen. Das Buch sprach auch nicht mehr mit ihr. Wer weiß – vielleicht hatte es nicht damit gerechnet, plötzlich von Liebeskummer überschwemmt zu werden.
Am dritten Tag kam Gloria schließlich zu dem Ergebnis, dass sie noch einmal alle Plätze ablaufen würde, bei denen sie mit Kirt zusammen gewesen war. Sie behielt Düsseldorf für immer in spezieller Erinnerung! Doch nun war Gloria traurig. Kirt hatte ihr Herz offenbar mehr berührt, als sie es sich zu Beginn eingestehen wollte. Womöglich war er schon über alle Berge, vielleicht auch nicht. Immerhin musste er noch ein paar Sachen erledigen… Gloria spürte den bitteren Nachgeschmack, den seine Worte hinterlassen hatten. Sie spazierte zu dem Campingplatz, bei dem sie vor kurzem gemeinsam waren. – Der einzige Ort, den sie noch nicht abgelaufen hatte und immerhin besaß sie noch Kirts letzte Duschmarke. Sie würde sich also noch einmal unter die Dusche schwingen und ihre Klamotten waschen, bevor sie den Heimweg antrat.
Gloria fand das kleine Mäuerchen, auf dem Kirt gesessen hatte. Sie setzte sich entmutigt darauf und dachte nach. – Eine halbe Ewigkeit lang. Anschließend wusch sie ihre dreckige Wäsche an jenem Waschbecken, das sie auch beim letzten Mal wählte und legte ihre nassen Klamotten zum Trocknen auf die Wiese. Gloria machte es sich bequem und holte das Buch hervor. Sie hoffte inständig, dass es mal wieder einen Text preisgab. Und ihr stockte der Atem, als sich jene Linien tatsächlich entwanden! Gloria überflog die Überschrift und begann neugierig zu lesen.
Sinn
Verspielt und besonnen,
gewagt und gefährlich,
verführt und beständig,
erlangt seine Wahrheit, seinen Sinn.
Gloria las den kurzen Vierzeiler, aber sie wurde einfach nicht schlau aus diesem Gedicht. Zum ersten Mal hatte sie so gar keine Ahnung, was mit diesen Versen gemeint war und das dämmte ihre Laune noch mehr. Sie war es leid, nur herumzusitzen und beschloss, ihre Wäsche hier liegen zu lassen. Gloria spazierte über den riesigen Campingplatz. Es half einfach nichts. Sie war sauer, dass sie so einen genialen Typen wie ihn kennen gelernt hatte, der sich dann – mir nichts, dir nichts – aus dem Staub machte. Warum verlor sie überhaupt so schnell den Kopf?! Gloria setzte sich schließlich wieder auf das Mäuerchen im Sanitärbereich und überlegte, was das Gedicht aussagen sollte.
‹Verspielt und besonnen.› Diese Zeile könnte sogar auf Kirt zutreffen… Sie dachte an den zweiten Vers ‹Gewagt und gefährlich.› Bei jenen Worten musste Gloria an die halsbrecherische Fahrt mit 200 Stundenkilometern auf der Autobahn denken. ‹Verführt und beständig…› Darauf konnte sie sich keinen Reim machen. Die beiden Worte stellten eher einen Gegensatz dar. Außerdem hatte Kirt sie weder verführt, noch war irgendetwas an ihnen beständig gewesen. Das passte also gar nicht! Gloria fragte sich, welcher Sinn mit dieser Zeile einherging. Immerhin lautete die Überschrift selbst ‹Sinn›.
Die Tür des Sanitärgebäudes öffnete sich und Gloria schaute auf. Eine alte Frau trat herein. Sie trug zwei leere Kanister bei sich und befüllte diese an der Wasserstation, als die Frau Gloria plötzlich ansprach: »Kind, du siehst ja aus wie sieben Tage Regenwetter.« Gloria zuckte mit den Schultern und verstaute vorsorglich das Buch in ihrem Rucksack. Sie schaute der Frau dabei zu, wie sie den Wasserschlauch von dem ersten in den zweiten Kanister steckte. »Suchst du irgendjemanden oder warum wartest du hier?« Gloria schmunzelte. »Nee, ich sitze nur rum und warte, dass meine Wäsche trocken wird.« Die Frau nickte und schraubte den Deckel des ersten Kanisters zu.
Es erwies sich als schön, mal wieder mit jemanden reden zu können. Gloria schaute die Dame traurig an. »Hatten Sie schon mal das Gefühl, dass Ihnen alles aus den Händen gleitet, obwohl Sie es am liebsten festhalten würden?« Die Frau lächelte. Sie lehnte sich an den Rand des Mäuerchens und besaß etwas Warmes in
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