Zeugin am Abgrund
wichtigere Dinge, mit denen sie sich befassen musste.
“So, das sollte reichen”, sagte Sam schließlich und stand auf. Er klopfte den Schnee von seiner Hose und ging los. “Sie tragen den Matchbeutel”, rief er ihr über die Schulter zu. “Ich nehme dieses Paket.”
Lauren wollte sich über seinen Tonfall beschweren, aber ein Blick zum schwarz verhangenen Himmel brachte sie schnell davon ab. Sie warf sich den Tragegurt des Matchbeutels über die Schulter und wäre von dessen Gewicht fast umgerissen worden. Sie richtete sich auf und veränderte die Länge des Gurtes, dann folgte sie Sam in aller Eile.
“Ich finde immer noch, dass Sie ein schrecklicher Mensch sind”, murmelte sie.
“Wenn das Ihre Meinung ist, bitte. Aber erwarten Sie nicht, dass ich deswegen schlaflose Nächte habe. Gehen Sie einfach weiter.”
“Ich dachte, nach einem Flugzeugabsturz bleibt man in der Nähe des Wracks und wartet auf Hilfe”, rief sie ihm nach. “Ich bin sicher, dass ich das irgendwo gelesen habe.”
“Das Flugzeug ist nichts weiter als ein brennendes Wrack, das auf dem Grund eines steilen Abhangs liegt. Es wäre halsbrecherisch, dort runterklettern zu wollen. Außerdem wird keine Hilfe kommen, weil niemand weiß, in welche Richtung wir geflogen sind.”
“Niemand?” keuchte sie, während sie versuchte, mit seinem Tempo mitzuhalten. “Hat Ihr Pilot keinen Flugplan abgegeben?”
“In gewisser Weise schon.”
“In gewisser Weise? Was soll das heißen?”
“Sagen wir mal so: Er hat einen Fehler gemacht.”
“Sie meinen, er hat absichtlich eine falsche Flugroute angegeben?
“Sie sollten es aus der Warte betrachten, dass Carlos Killer nicht wissen, wo wir sind.”
“Das ist ein schwacher Trost, wenn wir stattdessen an diesem Berghang erfrieren.”
“Wir werden nicht erfrieren.”
“Machen Sie Witze? Ich friere ja jetzt schon. Meine Zehen fühlen sich an wie Eiswürfel.”
Er blieb so abrupt stehen, dass sie fast gegen ihn rannte. “Haben Sie die Wollsocken angezogen, die ich Ihnen gegeben hatte?”
“Natürlich. Ich trage Stiefel üblicherweise nicht ohne Socken.” Eigentlich hatte sie noch nie in ihrem Leben große, klobige Wanderstiefel getragen.
“Beide Paare?”
“Na ja … nein, aber …”
“Verdammt! Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen das anziehen, was in der Tasche war!”
“Sie haben mir aber kein Wort davon gesagt, dass ich ein zusätzliches Paar anziehen sollte. Woher sollte ich das denn wissen? Sie haben mir nicht gesagt, wohin es geht, und ich habe ganz bestimmt nicht damit gerechnet, dass wir mitten in einer Eiswüste abstürzen.”
“Was haben Sie mit dem zweiten Paar gemacht?”
“Es ist in meiner Handtasche.”
“Dann holen Sie die Socken heraus und ziehen Sie sie über das andere Paar.” Er nahm den Matchbeutel von ihrer Schulter, öffnete den Reißverschluss und zog eine weitere lange Unterhose heraus. Sie hatte das Exemplar aus dem seidigen Stoff angezogen, während er ihr die dicke Wollunterhose hinhielt. “Hier. Wenn Sie schon dabei sind, ziehen Sie die auch noch über”, sagte er und drückte sie ihr in die Hand.
“Was? Hier? Auf der Stelle?” Sie hielt die lange Unterhose an ihre Brust gedrückt. “Sie erwarten doch nicht etwa, dass ich mich vor Ihnen bis auf die Unterwäsche ausziehe.”
“Ich erwarte das nicht nur, ich befehle es Ihnen. Außerdem weiß ich gar nicht, was Sie haben. Ich werde das Gleiche machen. Die Temperaturen sinken sehr schnell, und ich weiß nicht, wie lange wir brauchen, ehe wir einen Unterschlupf gefunden haben.” Er ließ den Rucksack von seinen Schultern gleiten und durchsuchte erneut den Matchbeutel, um eine zweite lange Unterhose hervorzuholen. Er warf seinen Parka auf den Rucksack und beugte sich vor, um die Schnüre zu lösen, die den oberen Teil seiner kniehohen Stiefel festhielten.
“Was machen Sie denn jetzt?”
“Wonach sieht es denn aus? Beeilen Sie sich, wir haben keine Zeit zu verlieren.”
Er zog einen Stiefel aus und stellte seinen Fuß auf den Matchbeutel. “Kümmern Sie sich nicht um beide Beine gleichzeitig, sonst bekommen Sie nasse Strümpfe”, warnte er sie.
Sam richtete sich auf, zog seine Weste aus und legte sie über den Parka, dann knöpfte er sein Flanellhemd auf und legte es ab. Als er seine Hose aufmachte, sah Lauren rasch fort, doch aus dem Augenwinkel sah sie, wie er ein Hosenbein abstreifte, in die lange Unterhose stieg und das Hosenbein wieder hochzog. Nachdem er seinen Stiefel wieder
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