Zeugin am Abgrund
Narbe in der unberührten Landschaft hinterlassen hatte.
Zitternd presste Lauren die Lippen aufeinander und legte die Arme enger um sich. Wenn Sam mit der Maschine in die Tiefe stürzte, dann wäre sie ganz allein in dieser eisigen Wildnis. Sie würde nicht einmal eine Nacht überstehen.
Sam steckte den Kopf durch die Tür und warf zwei Matchbeutel nach draußen. “Bringen Sie die zwei in sichere Entfernung!” rief er ihr zu.
Lauren beeilte sich, durch den hohen Schnee voranzukommen, um die Taschen zu bergen, während Sam wieder im Flugzeug verschwand. Sie hatte gerade eben die Griffe der Taschen gepackt, als ein durchdringendes Knirschen ertönte und die Maschine nach hinten wegzurutschen begann.
Sie ließ die Griffe los und schrie. Entsetzt und unfähig, irgendetwas zu tun, sah sie mit an, wie der aufgerissene Rumpf sich langsam von ihr entfernte, gegen einen Felsvorsprung stieß, einige Sekunden dort festhing und schaukelte, ehe er langsam über den Felsrand wegkippte.
Im allerletzten Augenblick wurden eine weitere Tasche und ein länglicher Gegenstand aus dem Flugzeug geworfen, der nach einem Gewehr aussah, und dann brachte sich Sam mit einem Sprung in Sicherheit.
Die Berge warfen das Echo der grässlichen Geräusche zurück, die das Wrack verursachte, während es in die Tiefe stürzte. Dann folgte eine ohrenbetäubende Explosion, und ein Feuerball stieg auf, gefolgt von einer dicken schwarzen Rauchwolke.
Lauren schrie hysterisch auf und begann sich durch den Schnee zu kämpfen, um Sam zu erreichen. “Geht es Ihnen gut? Sind Sie verletzt?”
Er stand auf und klopfte sich den Schnee vom Parka. “Alles in Ordnung.”
Sie spähten über den Felsrand nach unten und sahen gut sechzig bis siebzig Meter unter sich das brennende Wrack des Flugzeugs. “War allerdings knapp.”
Lauren konnte nicht verstehen, wieso er so gelassen war. Sie starrte auf das in Flammen gehüllte Wrack, und mit einem Mal war alles zu viel für sie. Der Schrecken und die Hilflosigkeit und die Sorgen, die sie in den letzten zwölf Stunden durchgemacht hatte, drangen schlagartig an die Oberfläche.
Mit einem wutentbrannten Schrei wirbelte sie herum und begann mit beiden Fäusten auf Sams Brust zu schlagen.
“He, was soll das? Was zum Teufel ist mit Ihnen los?”
“Das ist alles Ihre Schuld! Sie sollten mich beschützen! Stattdessen komme ich beinahe ums Leben! Zum zweiten Mal! Und jetzt werden wir hier in der Wildnis erfrieren. Ich hätte Ihnen nie vertrauen sollen. Sie sind ein gemeiner, eiskalter und durch und durch unangenehmer Mensch. Und Sie haben mich fast zu Tode erschreckt!”
Sam gelang es endlich, ihre Hände zu fassen zu bekommen, und drückte sie fest gegen seine Brust. “Hören Sie mir zu. Hören Sie zu! Wir werden nicht sterben. Also halten Sie den Mund!”
“Wie können Sie das sagen? Wir sind mitten im Nichts, wir haben nichts zu essen, und wir wissen nicht, wie wir hier wegkommen sollen.”
“Wir haben Vorräte. Wir haben Bobs Notration und unsere Ausrüstung. Deshalb bin ich noch mal in die Maschine gestiegen. Und wir werden hier wegkommen.”
“Und wie? Wie sollen wir das anstellen?”
“Zu Fuß.”
“Haben Sie den Verstand verloren? Sie wissen doch nicht mal, wo wir sind.”
“In groben Zügen schon. Mehr brauchen wir nicht.”
Er ließ sie los. Lauren taumelte rückwärts und landete auf ihrem Po. Er nahm den Rucksack, schnallte ihn sich auf den Rücken, und dann zog er tatsächlich ein Gewehr aus einer Schneewehe und schulterte es. “Kommen Sie, wir müssen die anderen Taschen holen und dann aufbrechen.”
“Aber wohin sollen wir denn gehen?”
“Wir müssen einen Unterschlupf finden.” Er sah in nordwestlicher Richtung. “Es kommt ein Schneesturm auf.”
Erst bei diesen Worten wurde Lauren klar, dass es mittlerweile stärker schneite und dunkle und bedrohlich tief hängende Wolken aufgezogen waren.
Ohne auf sie zu warten, ging Sam los und griff sich die beiden Matchbeutel. Er kniete sich in den Schnee und begann den Inhalt der einen in die andere Tasche umzupacken.
“Was soll das?” wollte Lauren wissen, als sie wieder auf den Beinen war.
“Wir können nicht beide Taschen mitnehmen, also suche ich das Notwendigste heraus und packe es in eine Tasche. Sieht man das nicht?” erwiderte er schroff.
Der Gedanke, dass ihre Kleidung und ihre persönlichsten Toilettenartikel mit den Sachen dieses Mannes in Berührung kamen, gefiel Lauren überhaupt nicht, aber im Moment gab es
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