Zeugin am Abgrund
Spalte ein, und tritt auf diese Felsplatte, dann streck die Hand aus und pack den Stamm von diesem Schössling über dir.”
Sie befolgte seine Anweisung, aber so sehr sie sich auch bemühte, bekam sie den Baum nicht zu fassen. Er war einige Zentimeter zu weit entfernt. “Ich … komme … nicht … ran”, keuchte sie.
“Versuch es noch mal.”
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und streckte sich, aber es half nichts. “Es … geht … nicht…. Ich … bin … zu klein.”
“Verdammt.”
Lauren hielt sich wieder in der Spalte fest und suchte die knapp zwei Meter Felswand ab, die sie von Sam trennten. Von diesem einen Schössling abgesehen, gab es nichts, woran sie sich auf dem Weg nach oben hätte festhalten können.
Der Wind zerrte noch immer an ihr, und allmählich bekam sie einen Krampf in ihren Fingern. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie sich noch halten konnte. Sie wimmerte, ohne es selbst wahrzunehmen, und warf Sam einen flehenden Blick zu.
“Keine Panik”, sagte er mit fester Stimme. “Alles ist in Ordnung. Dann gehen wir eben nach Plan B vor.”
Er beugte sich über den Felsrand, wickelte die Sicherungsleine um sein Handgelenk, packte sie fest und zog an ihr, bis sie gespannt war. “So, jetzt fass das Seil in Schulterhöhe mit beiden Händen, und gleichzeitig stemmst du die Füße gegen den Hang und lehnst dich nach hinten.”
“Nach hinten lehnen?” Sie sah verängstigt über die Schulter. “Bist du verrückt?”
“Das ist in Ordnung. Während ich dich zu mir ziehe, ‚gehst‘ du an der Felswand nach oben.”
“Gehen?” wiederholte sie schwach. “Ich glaube kaum, dass das Seil so etwas aushält.”
“Doch, das wird es. Vertrau mir, Baby, ich lasse dich nicht fallen.”
Ihr blieb keine andere Wahl. Sie schloss die Augen, schickte ein Stoßgebet zum Himmel und begann zu zählen. Eins. Zwei. Sie holte tief Luft. Drei.
Lauren umfasste das Seil mit beiden Händen und stieß einen Schrei aus, als sie fühlte, wie ihr Oberkörper nach hinten wegkippte. Irgendwie griffen aber die Sohlen ihrer Stiefel auf dem Abhang, und dann wurde sie schon nach oben gezogen.
Es war die Hölle. Ihre bloßen Hände waren so kalt, dass sie schmerzten, gleichzeitig brannte das Seil in ihren Handflächen. Die Belastung für Arme und Schultern war immens, aber sie biss die Zähne zusammen und zwang sich, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
“Das machst du sehr gut, nur noch ein kleines Stück”, rief Sam ihr zu.
Seine Hals- und Nackenmuskeln waren hervorgetreten, und sein Gesicht war vor Anstrengung rot angelaufen, trotzdem ließ er nicht nach, sie Stück für Stück nach oben zu ziehen. Als sie nur noch knapp einen Meter von dem rettenden Plateau entfernt war, ereigneten sich zwei Dinge gleichzeitig. Das dünne Seil begann auszufransen, und sie verlor den Halt.
Die Zeit reichte für kaum mehr als ein entsetztes Luftschnappen, da fühlte sie auch schon, wie Sam ihr Handgelenk in einem stählernen Griff umschloss. Im nächsten Moment hing sie in der Luft.
“Ganz ruhig”, herrschte Sam sie an. “Strampel nicht, ich habe dich.” Er runzelte die Stirn. “Mein Gott, du bist leicht wie eine Feder. Da ist es ja kein Wunder, dass du von jeder kleinen Brise weggeweht wirst.”
Mit einer einzigen fließenden Bewegung hob er sie hoch und zog sie über die Felskante, um sich dann mit ihr vom Rand wegzurollen. Als sie zum Stillstand kamen, lag Lauren auf ihm.
Einen Moment lang klammerte sie sich an ihm fest und schmiegte ihr Gesicht an seine Brust, während sie nach Luft schnappte und zitterte.
Sam strich ihr über den Rücken. “Es ist alles gut. Du bist jetzt in Sicherheit. Du hast es geschafft. Schhht. Schhht. Alles in Ordnung, Kleine. Es ist vorbei.”
Ihre Reaktion kam fast ohne Vorwarnung. Es war ein leises Grollen, das fast wie das Schnurren einer Katze begann, aber es wurde lauter und lauter, und als sie schließlich den Mund öffnete, schrie sie ihn so laut an, wie er es bei ihr nie für möglich gehalten hätte.
“Du Idiot!”
11. KAPITEL
“H e!” rief Sam.
Lauren trommelte mit beiden Fäusten auf ihn ein. “Idiot! Trottel! Du hättest mich fast umgebracht! Zum zweiten Mal!”
“Verdammt, hörst du endlich auf und lässt mich mal zu Wort k… au!”
“Nein, ich will mir von dir nichts mehr anhören! Du hast mir das eingebrockt! Du und deine hirntoten Freunde in Denver!” Lauren rammte ihre Faust in seinen Magen. Sie war zu aufgebracht und aufgewühlt, um irgendetwas
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