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Ziel erfasst

Ziel erfasst

Titel: Ziel erfasst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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beinahe heiß genug war, um darin einen Hummer zu kochen. Dann tauchte er mit dem ganzen Körper darin unter. Nur zwei Extremitäten nahm er davon aus: Seinen rechten Fuß, den er mit Staubinden und einem Eisbeutel umwickelt hatte, und seine rechte Hand, in der er seine SIG Sauer P220, Kaliber .45, hielt.
    Zusätzlich zu seinen Prellungen und Beulen hatte Clark jetzt auch noch eine schlimme Erkältung erwischt. Nach diesem Tag im eisigen Regen war das auch kein Wunder. Auch dagegen nahm er jetzt rezeptfreie Medikamente und verbrauchte Unmengen von Papiertaschentüchern.
    Sich in die heiße Badewanne legen, Pillen schlucken und sich die Nase schnäuzen: Clark wiederholte diese Abfolge fast eine Woche lang immer wieder. Schließlich fühlte er sich zwar nicht wie ein junger Mann, aber wie ein neuer Mensch.
    Mittlerweile war er in der estnischen Hauptstadt Tallinn angekommen. Er hatte sich in den beiden letzten Wochen einen Bart wachsen lassen. Überhaupt sah er jetzt nicht mehr wie ein Geschäftsmann mittleren Alters, sondern eher wie ein rauer, vom Leben gezeichneter Fischer aus. Er hatte sich eine schwarze Strickmütze tief über die Ohren gezogen. Dazu trug er einen schwarzen Pullover unter einem blauen Wachstuchmantel und Lederstiefel, die sich eng um seinen immer noch verletzten rechten Knöchel schmiegten.
    Es war Donnerstagabend, und die Novemberluft war eisig kalt, weshalb auch nur wenige Fußgänger auf den Straßen waren. Als er ganz für sich allein die enge mittelalterliche Katharinenpassage entlangging, wurde ihm plötzlich die selbst auferlegte Isolation der vergangenen Wochen bewusst. Als Clark noch jünger, viel jünger, war, konnte er wochenlang am Stück eine verdeckte Ein-Mann-Operation durchführen, ohne jemals nur einen Funken Einsamkeit zu verspüren. Das war nicht unmenschlich, aber er vermochte damals sein Leben bewusst in voneinander abgeschottete Teile zu trennen. Wenn er auf einem Einsatz war, dachte er nur noch daran und blendete alles andere aus. Jetzt musste er jedoch an seine Familie, Freunde und Kollegen denken. Die Sehnsucht war zwar nicht so stark, dass er den Drang verspürt hätte, sofort zu ihnen zurückzukehren, aber sie war immer noch stärker, als ihm lieb war.
    Es war verrückt. Mehr als mit Sandy, mehr als mit Patsy hätte er sich jetzt gerne mit Ding unterhalten.
    Es war verrückt, dass er jetzt vor allem an seinen klein gewachsenen Schwiegersohn denken musste. Er hätte sogar darüber gelacht, wenn nicht alles, was gerade um ihn herum vorging, so ernst und belastend gewesen wäre. Aber nach einem kurzen Nachdenken ergab das schon einen Sinn. Auch Sandy war mit ihm durch dick und dünn gegangen. Aber das war etwas anderes als bei Chavez. Mit Domingo hatte er so viele Grenzsituationen erlebt, dass er sie beim besten Willen nicht mehr zählen konnte.
    Obwohl er es gerne getan hätte, verzichtete er darauf, jemand von ihnen kurz anzurufen. Er war schon an genug Telefonzellen vorbeigekommen, von denen aus das ohne Weiteres möglich gewesen wäre.
    Aber nein. Noch nicht. Nicht, bevor es absolut nötig war.
    Nein, er operierte nicht im Graubereich, das hier war eine hundertprozentige Geheimoperation. Er konnte nicht ausgerechnet zu denen Verbindung aufnehmen, die ein solcher Kontakt mit ihm am meisten gefährden würde. Er zweifelte nicht einen Augenblick daran, dass Ding sich um seine Frau, seine Tochter und seine Enkel kümmerte und sie vor Fotografen, Reportern, Attentätern und allen anderen Arschlöchern schützte, die seiner Familie gefährlich werden konnten. Obwohl Ding also nicht hier war, stand er doch an seiner Seite. John Clark wusste, dass Chavez ihm immer noch den Rücken freihielt.
    Und das musste für den Moment genügen.
    Ardo Ruul war der estnische Mafioso, der den Kölner Schlägern befohlen hatte, Manfred Kromm auf diese robuste Weise zu befragen. In einer alten KGB-Akte aus dem Jahr 1981 wurde das Gerücht aufgeführt, dass ein CIA-Mann namens Clark an dem Tag nach Berlin gekommen sei, als der Stasi-Agent Lukas Schumann in einem Geisterbahnhof im Untergrund von Ostberlin erschossen worden war. Der KGB hatte damals Kromm befragt, aber der hatte angeblich nichts dazu sagen können. Diese unbestätigte Geschichte tauchte dann dreißig Jahre später in der Akte des russischen Geheimdiensts über John Clark wieder auf.
    Walentin Kowalenko hatte sich daraufhin an Ardo Ruul gewandt. Der estnische Gangster hatte in seinen Zwanzigern im Geheimdienst seines Landes

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